BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

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Ziel: Weniger Nebenwirkungen dank „Real World Data“

Die Doktorandin Julia Wicherski untersucht die Anwendung von Fluorchinolonen. Innerhalb von Forschungsprojekten vergibt das BfArM auch Bachelor‐, Master‐ und Doktorarbeiten - in Kooperation mit der Universität Bonn, aber auch mit anderen Hochschulen. Die Forschungsarbeiten legen den Fokus auf wichtige und aktuelle Forschungsschwerpunkte im thematischen Zusammenhang mit den Aufgaben des BfArM.

Julia Wicherski ist Doktorandin im BfArM und erforscht hier die schweren Nebenwirkungen bei der Anwendung von Fluorchinolonen (Arzneimittel aus der Gruppe der synthetischen Antibiotika). Ihr Ziel ist es, die Faktoren genauer zu bestimmen, die zum Auftreten dieser Nebenwirkungen führen. Im nachfolgenden Artikel beschreibt sie, warum Daten aus der realen Welt (Real World Data), hier eine entscheidende Rolle spielen.

Im Rahmen meines Promotionsstudiums der Arzneimittelwissenschaften bietet mir das BfArM die Möglichkeit, in der Abteilung Forschung ein Teil des interdisziplinären Teams des Fachgebiets Pharmakoepidemiologie zu sein. Dort bin ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Umsetzung des Projekts „FQrisk“ tätig. Mit FQrisk streben wir an, zur Evidenz schwerer Nebenwirkungen, sogenannter unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW), infolge der Anwendung von Fluorchinolonen (FQ) in der Routineversorgung beizutragen. Die Ergebnisse des Projekts können einen Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit von FQ und vergleichbaren Antibiotika leisten.

Bei Arzneimitteln aus der Gruppe der Fluorchinolone handelt es sich um synthetische Antibiotika, die ein breites Wirkspektrum besitzen und insbesondere bei schwerwiegenden bakteriellen Infektionen zum Einsatz kommen. Neben der antibiotischen Wirkung wurden jedoch auch Nebenwirkungen beobachtet, die mehrere Organe oder Organsystemklassen betreffen können. Zu diesen Nebenwirkungen zählen z.B. Sehnenrupturen oder periphere Neuropathien.

Da zahlreiche dieser Nebenwirkungen auch langanhaltend und gegebenenfalls sogar irreversibel sind, wurde 2017 durch das BfArM ein umfassendes europäisches Risikobewertungsverfahren initiiert, das 2019 mit weitreichenden Einschränkungen der zugelassenen Anwendungsbereiche, Präzisierung der verbleibenden Indikationen sowie neuen Hinweisen und Warnhinweisen zu den möglichen Nebenwirkungen endete.

Fluorchinolone: Hochwirksame Antibiotika mit Risiken

Das Thema wurde in der Öffentlichkeit breit kommuniziert. In Medienberichten wurden die Gefahren und Risiken durch Fluorchinolone geschildert und kritisch hinterfragt, warum diese Antibiotika trotz des Auftretens schwerer Nebenwirkungen weiter angewandt werden dürfen.

Hierzu muss man jedoch wissen, dass Fluorchinolone als hochwirksame Antibiotika mit breitem Wirkspektrum (u.a. gegen gramnegative und grampositive Bakterien) immer noch eine wichtige Behandlungsoption darstellen. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen andere Antibiotika nicht ausreichend wirksam sind oder beim Einsatz gegen Bakterien, die gegenüber anderen Antibiotika Resistenzen ausgebildet haben.

Für eine optimale und sichere Behandlung der Patientinnen und Patienten mit Fluorchinolonen ist ein Blick auf die ärztliche Verordnungspraxis in der Routineversorgung wichtig. So kann man untersuchen, welche Faktoren beim Auftreten von schweren und teils irreversiblen Nebenwirkungen eine Rolle spielen. Diese Erkenntnisse wiederum können dann genutzt werden, um die Arzneimitteltherapiesicherheit der Fluorchinolone zu verbessern. Daten der ärztlichen Routineversorgung gehören zu den sogenannten Real World Daten (RWD), da sie in der realen Welt unter alltäglichen Bedingungen erzeugt werden. In Form von anonymisierten Krankenkassenabrechnungsdaten können diese Daten der klinischen Routineversorgung zur Analyse von Einsatz und speziellen Risiken von Arzneimitteln verwendet werden.

Forschungsprojekt „FQrisk“: Risiko für schwere Nebenwirkungen minimieren

Genau das geschieht im Forschungsprojekt „FQrisk“. Wir untersuchen dabei den Zusammenhang zwischen der Anwendung von Fluorchinolonen (FQ) und dem Auftreten schwerer UAW in der Routineversorgung. Der Einsatz von deutschen Real World Daten (RWD) soll dabei die Ergebnisse aus dem europäischen Risikobewertungsverfahren und den vorhandenen RWD-Studien präzisieren und erweitern. Zum Beispiel werden wir aufgrund der Größe der untersuchten Stichprobe in der Lage sein, seltene UAW mit einer guten statistischen Aussagekraft zu detektieren, Unterschiede zwischen mehreren Vergleichsantibiotika zu beschreiben und über einen längeren Beobachtungszeitraum eintretende UAW zu analysieren. Darüber hinaus werden ausgehend vom europäischen Risikobewertungsverfahren modifizierende Faktoren zum Auftreten und der Schwere der UAW sowie zur Inanspruchnahme von gesundheitlichen Versorgungsleistungen ausgewertet. Dieser Ansatz ermöglicht es, einen Beitrag zur Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu leisten, um das Risiko für schwere UAW infolge einer FQ-Verordnung minimieren zu können.

BfArM: Regulatorische Forschung und optimale Voraussetzungen

Das BfArM bietet für dieses Forschungsvorhaben die richtigen Voraussetzungen, da es eine der wenigen regulatorischen Arzneimittelbehörden mit eigener Forschungsabteilung in Europa ist. Unterschiedliche interdisziplinäre Forschungsgruppen arbeiten hier mit führenden nationalen, europäischen und internationalen universitären sowie außeruniversitären Forschungseinrichtungen zusammen. Die regulatorische Forschung des BfArM umfasst dabei die Bearbeitung Public Health-relevanter, aktueller Forschungsfragen hinsichtlich der Zulassung und Sicherheit von Arzneimitteln. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf der pharmakoepidemiologischen Auswertung großer, bevölkerungsbasierter Datensätze (RWD). „Real World“ Evidenz-generierende Studien sind zunehmend von zentraler Bedeutung für regulatorische Entscheidungsprozesse.

Die forschende Tätigkeit des BfArM war mir bereits durch mein Studium der Gesundheitswissenschaften/Public Health bekannt. Sehr früh in meinem Bachelorstudium festigte sich dann das Interesse für klinische Epidemiologie, sodass ich meine Bachelorthesis bereits einem Thema der deskriptiven klinischen Epidemiologie mit Arzneimittelbezug widmete. Für meine Masterthesis war es mir anschließend wichtig, meine methodischen Kenntnisse auszubauen, sodass ich mich für die Anfertigung eines systematischen Reviews inkl. Meta-Analyse entschied. Dabei wurde mir der wissenschaftliche Diskurs über die Aussagekraft von klinischen Studien und RWD-Studien bewusst. An dieser Stelle war mir klar, dass ich im Rahmen meiner Promotion ein Thema der klinischen Epidemiologie bearbeiten möchte und dabei mehr über die Bedeutung klinischer und RWD-Studien lernen sowie ergebnisorientiert aktiv zu dieser Diskussion beitragen möchte. Daher habe ich mich um eine Stelle als Doktorandin in der Forschungsabteilung im BfArM beworben. Die Stellenausschreibungen vom BfArM habe ich bereits während dem Verfassen meiner Masterthesis im Auge behalten. Letztlich auf die passende Stelle aufmerksam geworden, bin ich dann über das Inserat auf dem Stellenausschreibungsportal der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) und freue mich sehr, nun seit November 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin im BfArM sein zu dürfen.

In der Forschungsgruppe Pharmakoepidemiologie von Prof. Britta Hänisch bearbeite ich seither das Forschungsprojekt FQrisk. Prof. Hänisch ist die Leiterin der Abteilung Forschung sowie der beiden in das Projekt involvierten Forschungsgruppen Pharmakoepidemiologie am BfArM und am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn.

Wissenschaftliches Institut der AOK ermöglichte den Zugang zu passenden Daten

Die Idee und Motivation für das Projekt entstammte den vorangegangenen regulatorischen Geschehnissen um die Fluorchinolone. Die bereits bestehende langjährige Kooperation der FG Pharmakoepidemiologie mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) ermöglichte den Zugang zu den passenden RWD, so dass ich direkt in das Projekt einsteigen konnte.

Am Anfang eines solchen Forschungsprojekts steht dabei immer die Entwicklung eines adäquaten Studiendesigns. Dabei spielt das Netzwerk aus epidemiologischer, pharmakologischer und klinischer Expertise eine besondere Rolle für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts. Im interdisziplinären Projektteam übermitteln die Kolleginnen und Kollegen vom WIdO Abrechnungsdaten der AOK und bringen ihre fachliche Expertise in die Projektplanung und -umsetzung ein.

Die Sichtweise der klinischen Praxis wird themenspezifisch vertreten durch die Expertise eines Arztes und einer Ärztin aus dem Bereich der Infektiologie und Allgemeinmedizin. Methodische, datenanalytische und pharmakologische Expertise sowie Erfahrung in der Umsetzung pharmakoepidemiologischer Projekte werden durch das Team der FG Pharmakoepidemiologie im BfArM sowie durch die partnerschaftliche Arbeitsgruppe am DZNE in das Projekt eingebracht.

Die Mitglieder der Forschungsgruppen nehmen regelmäßig an verschiedenen (inter-) nationalen Fortbildungen und Konferenzen teil. Damit erlernen wir stetig neue Fähigkeiten, bauen unser vorhandenes Wissen aus, stehen im Austausch mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, können neue Netzwerke erschließen und das aktuellste Wissen in unsere Arbeit integrieren. Darüber hinaus bindet Frau Prof.in Britta Hänisch uns in ihre Tätigkeiten in verschiedenen (inter-) nationalen Arbeitsgruppen ein, wie zum Beispiel zum Thema RWD. Damit ermöglicht sie mir als Doktorandin anspruchsvolle Einblicke und einen weiteren Kenntniserwerb für meinen weiteren wissenschaftlichen Werdegang, was sich nicht zuletzt auch direkt positiv auf die Ausgestaltung des Promotionsprojekts auswirkt.

Ziel: Erhöhung der Therapiesicherheit

Zurück zum Projekt – Kern meiner Arbeit ist die Anwendung epidemiologischer sowie statistischer Methoden zur Analyse von AOK-Krankenkassenabrechnungsdaten. Diese Daten umfassen u.a. Informationen über verschriebene Arzneimittel und Medizinprodukte, diagnostizierte Erkrankungen und Symptome sowie durchgeführte Behandlungen und Operationen. Daher sind sie eine wertvolle RWD-Quelle zum Ableiten von Erkenntnissen für regulatorische Entscheidungsprozesse. Im Fall von FQrisk ist dies, Evidenz für die Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit dieser Antibiotikaklasse in der Routineversorgung zu generieren. Es ist wichtig zu erwähnen, dass der Datenschutz und die Datensparsamkeit eine zentrale Rolle einnehmen. Die Auswertung der Daten ist auf analyserelevante Variablen mit möglichst hohem Aggregationsgrad begrenzt. Es ist nicht möglich, Rückschlüsse auf die versicherten Individuen zu ziehen.

Vor der eigentlichen Datenauswertung erfolgt zunächst eine umfassende Qualitätskontrolle der Daten. Beispielhaft sei hier die Plausibilitätsprüfung erwähnt. Das bedeutet, dass wir die absoluten und relativen Verteilungen der Variablen ausführlich beschreiben und auf Plausibilität und biologische Erklärbarkeit prüfen. Ein Beispiel dafür ist die Altersverteilung der Versicherten. Wenn wir in unserem Datensatz nur erwachsene Versicherte betrachten, wäre es unplausibel, sollte jemand im Datensatz erst 15 Jahre alt sein. Auch ein Alter von 150 Jahren wäre unplausibel.

Ergebnisse werden auch für fachliche Laien aufbereitet

Nach der Qualitätskontrolle erfolgen die Vorbereitungen für die multiple Datenauswertung. Diese Vorbereitungen umfassen die Prüfung aller Voraussetzungen für die ausgewählten Analysemethoden. Wenn die definierten Voraussetzungen zur korrekten Umsetzung der speziellen Methode erfüllt sind, werden die Modelle in unseren Statistikprogrammen programmiert. Ich selbst verwende dazu das Statistikprogramm R. Als Qualitätssicherungsmaßnahme unserer Arbeit streben wir es an, in der Forschungsgruppe unsere Analysen in mindestens zwei verschiedenen Anwendungen zu programmieren. So eignet sich z.B. auch das Statistikprogramm SAS für pharmakoepidemiologische Auswertungen großer Datensätze. Zur Überprüfung der Ergebnisse auf Robustheit führen wir zusätzliche Subgruppen- und Sensitivitätsanalysen der Daten durch. Alle Ergebnisse werden im Projektteam diskutiert. Abschließend werden das Projekt und die gefundenen Ergebnisse inklusive kritischer Diskussion als Manuskript zusammengefasst und zur Publikation in einer Fachzeitschrift eingereicht. Dabei ist es üblich, in Fachzeitschriften mit sogenanntem Peer-Review-Verfahren zu publizieren. Das bedeutet, dass der von uns eingereichte Artikel mehreren unbeteiligten Expertinnen und Experten als Gutachterinnen bzw. Gutachtern vorgelegt wird. Sie haben dann die Möglichkeit, uns Anmerkungen und Ergänzungswünsche zukommen zu lassen, die wir berücksichtigen, bevor die Fachzeitschrift unseren Artikel publiziert.

Neben der Distribution unserer Ergebnisse für andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Entscheidungsträger im Gesundheitssystem, streben wir es auch an, unsere Ergebnisse anschaulich für nicht fachliche Expertinnen und Experten aufzubereiten und zu kommunizieren. Es bleibt also für alle interessant, das Projekt und allgemein die forschende Tätigkeit des BfArM zu verfolgen.

Julia Wicherski

Julia Wicherski

2012-2014: Fachabitur für Gesundheit und Soziales, Berufskolleg des Kreises Kleve
2014-2017: B.Sc. Gesundheitswissenschaften an der HAW Hamburg; Bachelorthesis „Prävalenz und Inzidenz von Gastritis und Sodbrennen sowie deren Arzneimitteltherapie in der Heinz Nixdorf Recall Studie“ in Kooperation mit dem Zentrum für Klinische Epidemiologie (ZKE) in Essen
2017-2019: M.Sc. Public Health an der Universität in Bielefeld; Masterthesis „Association between Breakfast Skipping & Body Weight – A Systematic Review & Meta-Analysis“ in Kooperation mit dem Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) in Düsseldorf
Seit 11/2019: Doktorandin im BfArM und Promotionsstudentin der Arzneimittelwissenschaften an der Universität Bonn
Seit 11/2020: Mitglied im SprecherInnen-Team der Nachwuchsgruppe Epidemiologie in der DGEpi