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150 Jahre Deutsches Arzneibuch: Von Opium bis Zuckersirup

Vor 150 Jahren erschien das erste einheitliche Deutsche Arzneibuch nach Gründung des Deutschen Reiches. Die Ausgabe von 1872 mit dem Titel „Pharmacopoea Germanica“ war noch in lateinischer Sprache verfasst. Eineinhalb Jahrhunderte später ist das Arzneibuch in der Pharmazie immer noch unentbehrlich, aber vorrangig in der europäischen Version von Bedeutung.

Dürfen Cannabisblüten bei Raumtemperatur gelagert werden? Welche Anforderungen muss Zuckersirup erfüllen, wenn er in der Arzneimittelherstellung eingesetzt wird? Antworten auf solche Fragen finden sich im Deutschen Arzneibuch, das in diesem Jahr sein 150. Jubiläum feiert. Es enthält bestimmte anerkannte pharmazeutische Regeln zur Qualität, Prüfung, Lagerung, Abgabe und Bezeichnung von Arzneimitteln und von den bei ihrer Herstellung verwendeten Stoffen. Das Deutsche Arzneibuch hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und ist zurecht einer europäischen Lösung gewichen. Im Arzneimittelgesetz wird für alle Regelungsinhalte in diesem Zusammenhang nur noch der Begriff Arzneibuch gewählt.

Warum das Arzneibuch bis heute ein wichtiges Instrument zum Schutz der Patientinnen und Patienten darstellt und welche Besonderheiten es gibt, erfahren Sie in unseren

10 Fragen und Fakten rund um das Arzneibuch

Was steht im Arzneibuch?

Im Arzneibuch sind die Qualitätsstandards für Stoffe und Arzneimittel festgelegt. Es beschreibt, wie Stoffe und bestimmte Arzneimittel definiert, ggf. produziert und geprüft werden, damit sie die erforderliche „Arzneibuchqualität“ aufweisen. Die Prüfverfahren zur Kontrolle ihrer Qualität werden darin meist detailliert in Bezug auf die Analytik beschrieben. Umgekehrt ist gesetzlich festgelegt, dass im Arzneibuch aufgeführte Stoffe und Arzneimittel, die nicht den darin enthaltenen Regeln entsprechen, nicht hergestellt oder in den Verkehr gebracht werden dürfen. Auf diese Weise wird die hohe Qualität von Arzneimitteln u.a. über die Arzneibuchqualität der Ausgangsstoffe geregelt.

Wozu braucht man das Arzneibuch?

Das Arzneibuch ist ein wichtiges Instrument zum Schutz der Patientinnen und Patienten. Insbesondere das Europäische Arzneibuch wird für die Arzneimittelzulassung benötigt. Wenn ein pharmazeutischer Unternehmer eine solche Zulassung beantragt, muss er neben der Wirksamkeit und der Unbedenklichkeit auch die Qualität seines Produktes belegen. Dabei kann er sich, falls zutreffend, auf die Arzneibücher beziehen. Von den Zulassungsbehörden wird dieser Bezug als eine der Voraussetzungen für die Qualität dieser Substanzen anerkannt. Dies erspart sowohl den Herstellern als auch dem BfArM, für jeden Stoff detailliert die Qualität aufzuzeigen.
Trotz der zentralen Rolle des Europäischen Arzneibuches haben nationale Arzneibücher wie das DAB ihre Daseinsberechtigung nicht verloren. Für Stoffe, die nicht im Europäischen Arzneibuch beschrieben sind, können die Mitgliedsstaaten der EU die Einhaltung der Vorschriften ihres eigenen nationalen Arzneibuchs verlangen, insbesondere, wenn die Ph. Eur. kein Interesse an der Ausarbeitung der Monographie hat oder nationale Gesundheitsinteressen eine Ausarbeitung notwendig erscheinen lassen. Auch wenn das DAB deutlich an Umfang verloren hat, stellt es daher nach wie vor eine wichtige nationale Ergänzung zum Europäischen Arzneibuch dar.

Wer benutzt das Deutsche Arzneibuch?

Die Hersteller von Ausgangsstoffen nutzen das Deutsche Arzneibuch sowie das Europäische Arzneibuch für die Wareneingangskontrolle, die Arzneimittelproduktion und die Freigabe der Arzneimittel, um deren Qualität zu bestätigen.
Krankenhausapotheken nutzen die Informationen insbesondere zur Prüfung von Ausgangsstoffen für die Herstellung ihrer Arzneimittel, öffentliche Apotheken zur Prüfung von Substanzen, die für eine Rezeptur verwendet werden, und Überwachungslabore benötigen das Arzneibuch, um die Arzneimittel und Ausgangsstoffe nach der Arzneimittelproduktion oder Marktzulassung zu untersuchen.

Wer legt fest, welche Stoffe und Arzneimittel ins Deutsche Arzneibuch aufgenommen werden?

Die Bearbeitung und Weiterentwicklung des Deutschen Arzneibuchs gehört gesetzlich zu den Aufgaben des BfArM. Hinweise zu Änderungen oder Erweiterungen des Arzneibuchs kommen aus der Industrie, von anderen Behörden oder sonstigen Anwendern. Soll ein neuer Stoff in das Deutsche Arzneibuch aufgenommen werden, erfolgt die Ausarbeitung der Vorschriften insbesondere im Labor des BfArM.
Die Entscheidung darüber, was in das Arzneibuch aufgenommen wird, wo es Bearbeitungsbedarf gibt oder auch, ob etwas aus dem Arzneibuch gestrichen werden soll, trifft die Deutsche Arzneibuch-Kommission. Deren Mitglieder werden vom BfArM einberufen, im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
Bei übergreifenden Monographien mit europaweiter Bedeutung ist jedoch die Europäische Arzneibuch-Kommission zu befragen, ob diese die Monographie in ihr Arbeitsprogramm aufnehmen möchte. Die Deutsche Arzneibuch-Kommission besteht aus Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft, der Heilberufe, der beteiligten Wirtschaftskreise und der Arzneimittelüberwachung in zahlenmäßig gleichem Verhältnis. Zurzeit besteht die Kommission aus 24 ordentlichen Mitgliedern und deren Stellvertretung. Die Kommission kann zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse und für Arbeiten im Rahmen des Übereinkommens über die Ausarbeitung eines Europäischen Arzneibuches für bestimmte Sachgebiete Fachausschüsse bilden. Zurzeit sind über 150 Experten in der DAB-Kommission und deren Gremien sowie 207 Experten in den Gremien des Europäischen Arzneibuchs berufen. Hierdurch entsteht ein nationales Netzwerk in pharmazeutischer und teils medizinischer Expertise, das national einzigartig ist. Damit ist es dem BfArM auch über das Arzneibuch hinaus möglich, beim Auftreten bedenklich erscheinender Arzneimittel schnell Expertise zur pharmazeutischen Qualität zusammen zu tragen.

Bringt auch das BfArM Stoffe in das Deutsche Arzneibuch ein?

Ja. Ein prominentes Beispiel sind Cannabisblüten und Eingestellter Cannabisextrakt. Ärztinnen und Ärzte können seit 2017 Medizinal-Cannabisblüten oder Cannabisextrakt in pharmazeutischer Qualität auf einem Betäubungsmittelrezept verschreiben. Wie diese pharmazeutische Qualität definiert wird, ist in einer entsprechenden Monographie festgelegt. Dies wurde erstmals in einer Bekanntmachung vom 05.05.2017 veröffentlicht und seitdem mehrfach aktualisiert. Das BfArM hat sich in die Entwicklung der Monographien maßgeblich eingebracht. Damit steht ein wichtiger Standard zur Verfügung, der für die Versorgung bestimmter Patientinnen und Patienten von großer Bedeutung ist. Darüber hinaus wurde auch die Ausarbeitung einer Monographie für das Europäische Arzneibuch beauftragt. Federführend sind dabei die Niederlande und Deutschland (u.a. vertreten durch das BfArM).

Seit wann gibt es Arzneibücher in Deutschland?

In Europa ist die Geschichte der Pharmazie eng mit der Entwicklung der Mönchsorden und Klöster verbunden. Das „Lorscher Arzneibuch“, entstanden um 795 im Kloster Lorsch, gilt als erstes deutsches Arzneibuch und gehört heute zum UNESCO Weltdokumentenerbe.

Hat jedes Land ein eigenes Arzneibuch?

Nein. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation haben derzeit mehr als 50 Staaten auf der Welt nationale Arzneibücher. Neben dem Deutschen Arzneibuch gibt es zum Beispiel auch die United States Pharmacopeia sowie das Japanische und Chinesische Arzneibuch. Daneben gibt es auch ein Arzneibuch mit weltweiter Geltung, das von der WHO herausgegeben wird (The International Pharmacopoeia).
Seit 1974 hat sich in Europa parallel zu den nationalen Arzneibüchern ein Europäisches Arzneibuch (Pharmacopoea Europae, abgekürzt Ph.Eur.) entwickelt. Es wird unter der Ägide des Europarates ausgearbeitet.
Mit dem Erscheinen des Europäischen Arzneibuches änderte sich auch die Arbeit der Deutschen Arzneibuch Kommission und ihrer Gremien. Vorhandene Monographien wurden zunehmend in das Europäische Arzneibuch übernommen, und die Ausarbeitung neuer Monographien erfolgte jetzt hauptsächlich in den Gremien der Europäischen Arzneibuchkommission. Folglich beraten die Gremien der Deutschen Arzneibuchkommission heutzutage hauptsächlich über Entwürfe der Monographien des Europäischen Arzneibuches. Viele Mitglieder der nationalen Gremien sind zudem in den Arbeits- und Expertengruppen der Europäischen Arzneibuchkommission tätig und können daher direkt der DAB-Kommission und den Ausschüssen berichten.

Welches Arzneibuch erschien vor 150 Jahren?

Vor 150 Jahren erschien 1872 das erste gesamtdeutsche Arzneibuch – ein Jahr nach der Gründung des Deutschen Reiches. Auf der Grundlage der Landespharmakopöen des 19. Jahrhunderts, insbesondere der 7. Ausgabe der Preußischen Pharmakopöe (1862), erarbeitete der damalige Allgemeine Deutsche Apothekerverein die Pharmacopoea Germaniae (1865/1868), die bald danach zur ersten deutschen Einheitspharmakopöe, der Pharmacopoea Germanica (1872), weiterentwickelt und am 01. November 1872 in Kraft gesetzt wurde. Diese war auf Latein verfasst und wird heute rückwirkend als DAB 1 bezeichnet.
Ab dem DAB 3 (1890) wurde das Deutsche Arzneibuch erstmals offiziell in deutscher Sprache herausgegeben, wobei, wie heute auch noch gebräuchlich, mit lateinischem Untertitel: „Arzneibuch für das Deutsche Reich, Dritte Ausgabe (Pharmacopoea Germanica, editio III)“. Den Titel „Deutsches Arzneibuch“ (DAB) erhielt es ab der fünften Ausgabe von 1910.
Von den danach folgenden historischen Arzneibüchern hat das DAB 6 den größten Bekanntheitsgrad erreicht, weil es kriegs- und nachkriegsbedingt über den ungeheuer langen Zeitraum von 1927 bis 1968 gültig war. Die späteren Arzneibuchausgaben wurden durch die zunehmend schneller werdende fachlich-pharmazeutische Entwicklung, der sie sich anpassen mussten, immer häufiger überarbeitet und neu herausgegeben.
Der Nachfolger des DAB 10 wurde nicht DAB 11, sondern DAB 1996 genannt. Diese Bezeichnungsweise (DAB + Angabe der Jahreszahl der Ergänzungslieferung) ist seither beibehalten worden.

Wie viele Stoffe und Arzneimittel stehen im aktuellen Deutschen Arzneibuch?

Im aktuellen DAB 2022 finden sich 32 allgemeine Texte und Methoden, 53 Reagenzien sowie eine Pufferlösung und 73 Stoffmonographien mit 3 Anhängen. Auch wenn immer mehr Texte aus dem Deutschen Arzneibuch verschwinden, weil sie in das Europäische Arzneibuch aufgenommen wurden, werden immer wieder auch neue Texte erarbeitet und hinzugefügt.
So ist in der Ausgabe von 2022 eine Monographie „Dünnflüssiges synthetisches Paraffin“ aufgeführt. Die Substanz weist aufgrund ihres Herstellungsweges eine hohe Reinheit in Bezug auf aromatische Kohlenwasserstoffe auf. Sofern die pharmazeutisch-technologischen Eigenschaften dies erlauben, wird dieser Stoff als Ersatz für das „Dünnflüssige Paraffin“, welches aus der Aufarbeitung von Erdöl gewonnen wird und mit geringen Mengen aromatischer Kohlenwasserstoffe belastet ist, gelten können.

Was hatten „Hausenblasen“ und „Schiffspech“ im Arzneibuch von 1872 zu suchen?

Das Arzneibuch von 1872 bietet uns einen Blick in die Geschichte der Pharmazie. Man erfährt allerhand Erstaunliches. Beispielsweise, dass Opium in der Darreichungsform wohl recht dekorativ daherkam: „Meist etwas zusammengedrückte oder fast kugelförmige Kuchen […] eingehüllt in Mohnblätter und bestreut mit den Früchten irgendeines Ampfers“. Oder, dass auch „Schiffspech“ in der Arzneimittelherstellung eingesetzt wurde.

Manches will man gar nicht so genau wissen. Zum Beispiel, dass das bis vor kurzem im DAB enthaltene Schweineschmalz durch „Ausschmelzen des im Netz und an den Nieren hängenden Fettes“ gewonnen werden muss, oder „Hausenblasen“ (getrocknete Schwimmblasen des Hausen, einer Störart) sich im kochenden Wasser fast gänzlich auflösen und Bestandteil des sogenannten „Englischen Pflasters“ waren. Anderes sollte man unbedingt wissen, zum Beispiel, dass Strychnin sehr vorsichtig aufbewahrt werden muss.

Viele Stoffe, die bei näherer Betrachtung sicher weniger heilsam waren, sind mittlerweile aus dem Arzneibuch verschwunden. Die Pflasterherstellung unter Einsatz von Blei oder Quecksilber ist ein Beispiel dafür. Andere Stoffe behaupten ihren Platz bis heute. Wie zum Beispiel Likörwein, Mistelkraut oder auch – Benzin.