BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

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Kurzprotokoll 2. Sitzung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind vom 21.10.2020

Ort Webkonferenz von 14: 00 - 16:30 Uhr

Gemäß § 7 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Beirats nach § 52b Absatz 3b des Arzneimittelgesetzes (AMG) erstellt die Geschäftsstelle ein Kurzprotokoll der Abstimmungsergebnisse (ausgewiesen als mehrheitlich oder einstimmig) innerhalb von 5 Werktagen nach den Sitzungen und veröffentlicht diese auf der Internetseite des BfArM.

Dem Beirat gehören als stimmberechtigte Mitglieder folgende Verbände, Organisationen, Institutionen und Behörden an (in alphabethischer Reihenfolge):

  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF)
  • Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker (AMK)
  • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
  • Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut (PEI))
  • Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI)
  • Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH)
  • Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e.V. (PHAGRO)
  • Bundesverband deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA)
  • Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA)
  • Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG)
  • Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
  • Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART)
  • Pro Generika e.V.
  • Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
  • Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)
  • Vertreter der Interessen der Patientinnen und Patienten (BAG SELBSTHILFE e.V.)
  • Vertretung der Bundesländer

An der Sitzung am 21.10.2020 haben alle stimmberechtigten Mitglieder mit Ausnahme der Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. teilgenommen.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat als Gast an der Sitzung teilgenommen.

Der Vorsitzende des Beirats (Dr. Michel Horn, Abteilungsleiter 1 im BfArM) begrüßt alle Teilnehmenden und eröffnet die Sitzung.

Beschlüsse des Beirats vom 21.10.2020

  1. Beschlussvorschlag: Definition/Kriterien versorgungsrelevante Wirkstoffe (§52b Abs. 3c AMG)
    Der Beirat beschließt einstimmig bei Abwesenheit der Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., den Empfehlungen der Unterarbeitsgruppe des Beirates zuzustimmen.
    Diese sind im Einzelnen:

    1. Die Kriterien für versorgungsrelevante Wirkstoffe und die daraus entwickelte Liste an Wirkstoffen bleiben im Wesentlichen unverändert:

      1. Das Arzneimittel wird in inhaltlich aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften empfohlen bzw. es entspricht dem aktuellen Therapiestandard
      2. Bei Nicht-Verfügbarkeit verschlechtert sich die Prognose der betroffenen Patientinnen und Patienten
      3. Die zu behandelnde Krankheit ist lebensbedrohlich oder irreversibel progredient oder bei fehlender Behandlung würde der Patient schwer geschädigt. Dies gilt sowohl für Akutsituationen (Notfall), chronische Situationen oder Situationen mit einem möglichen tödlichen Verlauf, in denen das Arzneimittel den Verlauf positiv beeinflusst
      4. Das Arzneimittel unterliegt der Verschreibungspflicht
      5. Der Wirkstoff ist für die Gesamtbevölkerung relevant
      6. grundsätzlich nicht als versorgungsrelevant gelten:

        1. OTC-Arzneimittel
        2. Arzneimittel mit einem Orphan-Status
        3. neue Stoffe

    2. Die Liste wird aufgrund neuer Zulassungen oder neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse (z.B. neue Therapieoptionen) kontinuierlich im Rahmen der Beirats-Routinesitzungen weiterentwickelt
    3. Die Liste wird kontinuierlich dahingehend überprüft, ob Arzneimittel mit den dort enthaltenen Wirkstoffen in DE noch verfügbar sind
    4. Im Falle eines versorgungsrelevanten Engpasses erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Beirat eine Prüfung, ob Arzneimittel mit vergleichbarer therapeutischer Wirksamkeit zur Verfügung stehen. Bei Identifikation therapeutischer Alternativen werden diese auf der Homepage des BfArM publiziert
    5. In einem Anhang sollen zusätzlich die Impfstoffe und Impfantigene aufgenommen werden. Vom PEI ist eine entsprechende Ergänzung vorzunehmen.

  2. Beschlussvorschlag: Definition/Kriterien versorgungskritische Wirkstoffe (§52b Abs. 3c AMG)
    Der Beirat beschließt einstimmig bei Abwesenheit der Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., für die Definition versorgungskritischer Wirkstoffe die bisherigen Kriterien für die Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen anzuwenden.
    Diese sind im Einzelnen:

    1. Der Wirkstoff steht auf der Liste der Wirkstoffe, für welche die Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen gilt oder
    2. der Wirkstoff steht auf der Liste der Wirkstoffe, mit einem in der Vergangenheit eingetretenen Versorgungsmangel oder
    3. eine Meldeverpflichtung besteht nach 52b Nr. 3a AMG an Krankenhäuser oder
    4. das Arzneimittel hat einen Marktanteil von 25 % und mehr oder
    5. das Arzneimittel steht auf der Substitutionsausschlussliste.
  3. Beschlussvorschlag: Anordnung von Maßnahmen nach §52b Abs. 3d AMG
    Der Beirat beschließt einstimmig bei Abwesenheit der Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., dass für anzuordnende Maßnahmen eine Toolbox entwickelt werden wird, mit der geeignete Maßnahmen im Bedarfsfall abgedeckt werden, um ein zügiges Handeln ohne relevante Verzögerung sicherzustellen.
  4. Beschlussvorschlag: Definition/Kriterien für die Liste von Fertigarzneimitteln, für die eine regelmäßige Datenübermittlung zur Beurteilung der Versorgungslage erforderlich ist (§52b Abs. 3f AMG)
    Der Beirat beschließt einstimmig bei Abwesenheit der Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., dass eine regelmäßige Datenübermittlung für solche Fertigarzneimittel erfolgen soll,

    1. für die in der Vergangenheit bereits ein Versorgungsmangel durch das BMG festgestellt wurde
    2. wie auch für die Arzneimittel, deren Wirkstoffe in der Liste der Wirkstoffe, die aufgrund eines erhöhten Versorgungsrisikos unter besonderer behördlicher Überwachung stehen, aufgeführt sind.

    Nach Anhörung des Beirats kann unter bestimmten Voraussetzungen von der regelmäßigen Datenübermittlung abgesehen werden, z.B., wenn die therapeutische Bedeutung der Arzneimittel abgenommen hat oder die Versorgungslage dies zulässt.
    Für die Datenübermittlung ist eine pragmatische Form vorgesehen.

  5. Beschlussvorschlag: Definition/Kriterien für besonders relevanter Wirkstoffe, die perspektivisch wieder in der EU produziert werden sollten

    Der Beirat beschließt einstimmig bei Abwesenheit der Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., dass die Liste Wirkstoffe enthalten soll, die dringend erforderlich sind, um

    • die Notfallversorgung,
    • den Operationsbetrieb,
    • die intensivmedizinische Versorgung

    sicherzustellen.
    Die aktuell abgestimmte Liste enthält 22 Wirkstoffe / Produkte (s. Anhang).
    Die geplante Erarbeitung einer Empfehlung für eine sichere Arzneimittelversorgung auch im ambulanten Bereich (vergleichbar der Empfehlung für die Kliniken) ist hiervon unabhängig zu betrachten und soll parallel weiterverfolgt werden.

  6. Beschlussvorschlag: Weiterentwicklung der Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe
    Der Beirat beschließt einstimmig bei Abwesenheit der Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten, der Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., dass die Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe durch den Beirat nicht generell überprüft werden soll, sondern durch den Beirat unter der Beachtung der Definition für versorgungsrelevante Wirkstoffe punktuell weiterentwickelt und aktualisiert werden soll. Dieses Vorgehen hat sich in den vergangenen Jahren im Rahmen des Jour Fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen bewährt und wird nach einstimmiger Beschlusslage beibehalten.
  7. Sachstandsbericht und Diskussion zu Liefer- und ggf. Versorgungsengpässen
    BfArM
    a. Venlafaxin
    Aktuell 7 gemeldete Lieferengpässe von 3 Unternehmen; Verfügbarkeit ist grundsätzlich gegeben
    b. Bleomycin
    Aktuell eine Lieferengpassmeldung Bleomedac® bis Dezember 2020; lokale Verknappungssituationen traten auf; flächendeckende Verfügbarkeit grundsätzlich gegeben
    c. Plerixafor
    Lieferengpass wurde am 07.10.2020 beendet; Grund war ein Qualitätsmangel des zentral zugelassenen Arzneimittels Mozobil® (Orphan-Drug); EMA - Risikobewertung führte zur Freigabe der betroffenen Chargen
    d. Alitretinoin
    Toctino® 30mg Weichkapseln; eine Charge mit Patientenkarte wurde nicht gemäß aktueller Anforderung hergestellt (fest verbunden mit Packung); Abstimmung zwischen BfArM und zuständiger Landesbehörde führte zu Gestattung des Inverkehrbringens der Charge befristet bis 01.10.2020 gem. Antrag des MAH; Lieferabriss wurde vermieden; Ende Lieferengpass: Oktober 2020
    e. Sildenafil
    Für das zentral zugelassene Arzneimittel Revatio® 0,8 mg/ml Injektionslösung / Pfizer Limited ist keine Alternative verfügbar; die für den US Markt vorgesehene Ware ist zur Kompensation verfügbar; die Maßnahme auf Basis des § 10 Absatz 1a AMG - Gestattung, das AM mit Kennzeichnung des Vials in einer anderen als der deutschen Sprache in den Verkehr zu bringen- wurde seitens BfArM befürwortet; Publikation auf BfArM Internetseite ist erfolgt
    f. Cyclophosphamid
    Lieferabriss von Cyclophosphamid HEXAL® 500 mg und 2000 mg, Pulver z.H.e.Inj./Inf.-lösung drohte wegen eines Qualitätsmangels; eine Kritikalitätsprüfung und ein Risk-Assessment durch den RMS befürworten in Abstimmung mit der Landesbehörde die Freigabe der quarantänisierten Chargen; Lieferabriss wurde vermieden; Verfügbarkeit blieb gewährleistet
    g. Flucytosin
    Ancotil® (intravenös) wird bei Säuglingen (inkl. Früh- und Neugeborene), Kindern und Erwachsenen zur Behandlung von Mykosen angewendet; es lag ein Qualitätsmangel vor; der drohende Versorgungsengpass insb. im pädiatrischen Bereich wurde als kritisch eingeschätzt; eine Kritikalitätsprüfung und ein Risk-Assessment führten zur Gestattung, die Chargen unter bestimmten Auflagen in den Verkehr zu bringen
    h. Levodopa-Benserazid
    Die offenen Lieferengpassmeldungen wurden im September 2020 als beendet gemeldet; die Lieferfähigkeit war über den gesamten Zeitraum der Verknappung (seit Ende 2018) mit stabilen Durchschnittswerten gegeben
    PEI
    a. Influenzaimpfstoff
    Die Chargenfreigabe ist reibungslos verlaufen, so dass der größte Anteil der Influenzaimpfdosen bereits vom PEI freigegeben wurde und ausgeliefert werden konnte. Verfügbar werden in Deutschland in der Saison 2020/21 insgesamt 26,675 Mio. Dosen sein. Die letzten 7,4 Mio. Dosen werden voraussichtlich ab der 43. Kalenderwoche ausgeliefert. Diese beinhalten auch die 6 Mio. Dosen Impfstoff, die das BMG beschafft hat. Die vorhandenen Informationen sprechen nicht für ein regionales Verteilungsproblem, sondern sind mit einer sehr hohen Nachfrage auch bei Nicht-Risikopersonen vereinbar. Das PEI wird zur Klärung Distributionsdaten erheben. Da zusätzlicher Impfstoff nicht beschafft werden kann, sollten die vorhandenen Dosen nach STIKO Empfehlung eingesetzt werden.
  8. Nächster Termin:
    Es wurde vereinbart, dass die nächste reguläre Sitzung des Beirats im Dezember stattfinden soll. Sofern die Entwicklung der Corona-Pandemie es erforderlich macht, wird der Beirat kurzfristig einberufen.

Bonn den 26.10.2020