BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

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Kurzprotokoll 7. Sitzung des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind vom 09. Februar 2022

Ort Webkonferenz von 14:30 - 17:00 Uhr

Gemäß § 7 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Beirats nach § 52b Absatz 3b des Arzneimittelgesetzes (AMG) erstellt die Geschäftsstelle ein Kurzprotokoll der Abstimmungsergebnisse (ausgewiesen als mehrheitlich oder einstimmig) innerhalb von 5 Werktagen nach den Sitzungen und veröffentlicht diese auf der Internetseite des BfArM.

Dem Beirat gehören als stimmberechtigte Mitglieder folgende Verbände, Organisationen, Institutionen und Behörden an (in alphabethischer Reihenfolge):

  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF)
  • Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK)
  • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
  • Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut (PEI))
  • Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH)
  • Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels e.V. (PHAGRO)
  • Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI)
  • Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA)
  • Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)
  • Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG)
  • Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
  • Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART)
  • Pro Generika e.V.
  • Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
  • Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)
  • Vertreter der Interessen der Patientinnen und Patienten (BAG SELBSTHILFE e.V.)
  • Vertretung der Bundesländer

An der Sitzung am 09. Februar 2022 haben alle stimmberechtigten Mitglieder teilgenommen.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat als Gast an der Sitzung teilgenommen.

Der Vorsitzende des Beirats (Dr. Michael Horn, Abteilungsleiter 1 im BfArM) begrüßt alle Teilnehmenden und eröffnet die Sitzung.

  1. Beschluss: Beschluss eines Maßnahmenpaketes zur Abmilderung der Lieferengpässe bei tamoxifenhaltigen Arzneimitteln
    Im Rahmen des Berichts zu Lieferengpässen bei tamoxifenhaltigen Arzneimitteln sind im Beirat die aktuelle Versorgungssituation mit tamoxifenhaltigen Arzneimitteln und mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung erörtert worden.
    Es sind einstimmig verschiedene Maßnahmen zur Abmilderung der Lieferengpässe bei tamoxifenhaltigen Arzneimitteln beschlossen worden. Mit diesen kurz- und langfristigen Maßnahmen soll zum einen die Versorgung der auf tamoxifenhaltige Arzneimittel angewiesenen Patientinnen und Patienten sichergestellt werden und zum anderen Sicherheit in Bezug auf die Erstattung geschaffen werden.
    Folgende Maßnahmen wurden beschlossen:
    • Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) wird kurzfristig einen Versorgungsmangel nach § 79 Absatz 5 AMG bekanntmachen. Damit erhalten die zuständigen Behörden der Länder die Möglichkeit, Ausnahmen von den Regelungen des AMG zu gestatten, beispielsweise den Import tamoxifenhaltiger Arzneimittel.
    • Die pharmazeutischen Unternehmer ermitteln, ob und welche Arzneimittelkontingente für den deutschen Markt kurzfristig verfügbar gemacht werden können, ohne dabei einen Versorgungsmangel in anderen Staaten zu erzeugen.
    • Ärztinnen und Ärzte sollen in den kommenden Monaten keine Rezepte für eine individuelle Bevorratung ausstellen. Vielmehr sollen Patientinnen und Patienten erst dann ein Folgerezept erhalten, wenn eine weitere Verordnung erforderlich ist. Damit sollen regionale oder individuelle Bevorratungen unterbunden werden, um allen Patientinnen und Patienten eine unterbrechungsfreie Therapie zu ermöglichen.
    • Je nach Verfügbarkeit können Ärzte auch kleinere Packungsgrößen, z. B. mit 30 Tabletten oder Arzneimittel mit einer geringeren Stärke (z. B. Einnahme von 2 Tabletten à 10 mg) verordnen. Der GKV-Spitzenverband wird die Krankenkassen informieren und empfehlen, dass in dem Zeitraum des Lieferengpasses diese Arzneimittel von den Krankenkassen den Apotheken erstattet und diese ärztlichen Verschreibungen nicht in die Wirtschaftlichkeitsprüfungen einbezogen werden sollen.
    • Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) informiert die Ärzteschaft entsprechend und weist auf das Erfordernis der bedarfsgerechten Verschreibungspraxis im Sinne der Patientenversorgung wie dessen Gründe hin.
    • Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) wird die Apothekerinnen und Apotheker zum vorliegenden Sachverhalt informieren, um sie in ihrer Funktion als Berater in Arzneimittelfragen auf die Vermittlung der nötigen Informationen an Patienten und Patientinnen zu unterstützen.
    • Die pharmazeutischen Unternehmer prüfen, wann nach einer vorgezogenen Produktion die Versorgung in Deutschland wieder bedarfsgerecht erfolgen kann. Nach derzeitiger Prognose könnten die nachproduzierten Arzneimittel bereits Ende April 2022 zur Verfügung stehen.
    • Das BfArM unterstützt die pharmazeutischen Unternehmer durch eine prioritäre Bearbeitung von Änderungsanzeigen, wenn z. B. für die Produktion ein Herstellerwechsel genehmigt werden müsste.
    • Das BfArM informiert die Öffentlichkeit über die jeweils aktuelle Situation auf seiner Homepage.
    • Von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AMWF) wurden aktuelle Therapieempfehlungen zu Tamoxifen veröffentlicht und auch auf der Homepage des BfArM publiziert.
    Der Beirat geht davon aus, dass mit der Bekanntmachung nach § 79 Absatz 5 AMG, einem bedarfsgerechten Verordnungsverhalten und einer vorgezogenen Produktion die Versorgungslücke, die ohne Kompensationsmaßnahmen spätestens Ende Februar zu erwarten wäre, vermieden werden kann, bis die neu produzierten Arzneimittel den Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen.
    Die Publikation ist auf der Website des BfArM verfügbar.
  2. Zu Tagesordnungspunkt 6: EU - Aktivitäten mit Bezug zu Lieferengpässen
    Das BfArM ist in aktuelle Projekte auf europäischer Ebene eingebunden. Eines dieser Projekte ist die „EU4H- Joint Action on Shortages of Medicines“. Das BfArM leitet im Rahmen dieses Projektes das Arbeitspaket 7 „Digital Information Exchange for Monitoring and reporting medicine shortages“. Das PEI wirkt als Affiliated Partner ebenfalls in dem Projekt mit.
    Beschluss: Beschluss zu Tagesordnungspunkt 7: Aufnahme neuer Antibiotika in die Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe (§ 52b Absatz 3c AMG) und zur regelmäßigen Datenübermittlung nach § 52b Absatz 3f AMG
    Aufnahme von 5 neuen Antibiotika in die Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe
    Der Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe beschließt einstimmig dem Vorschlag der Kommission ART zu folgen, die fünf nachfolgend genannten Antibiotika mit Wirksamkeit gegenüber multiresistenten Erregern in die Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe aufzunehmen.
    Folgende Wirkstoffe sollen, vorbehaltlich der Prüfung der Vermarktung in Deutschland, in die Liste der versorgungsrelevanten Wirkstoffe aufgenommen werden:
    1. Wirkstoffkombination Ceftozolan/Tazobactam (Zerbaxa)
    2. Wirkstoffkombination Ceftazidim/Avibactam (Zavicefta)
    3. Wirkstoffkombination Meropenem/Vaborbactam (Vaborem)
    4. Cefiderocol (Fetcroja)
    5. Wirkstoffkombination Imipenem/Cilastatin/Relebactam (Recarbrio)
    Die Arzneimittel, die die genannten Wirkstoffe bzw. Wirstoffkombinationen enthalten erfüllen auch die Vorausetzung zur regelmäßigen Datenübermittlung nach § 52b Absatz 3f AMG. Die Liste der Fertigarzneimittel nach § 52b Absatz 3f AMG wird um die folgenden Arzneimittel erweitert:
    1. Zerbaxa 1 g/0,5 g Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
    2. Zavicefta 2 g/0,5 g Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
    3. Vaborem 1 g/1 g Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
    4. Fetcroja 1 g Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
    5. Recarbrio 500 mg/500 mg und 250 mg Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung
    Der Beirat stimmt der Erweiterung einstimmig zu.
  3. Vom BfArM als relevant eingestufte aktuelle Liefer- und ggfs. Versorgungsengpässe

    1. Aminosäurelösungen (Fresenius Kabi)
      Hoher Marktanteil betroffen. Jedoch kann der Ausfall durch Importe kompensiert werden.
    2. Clonidin (Ratiopharm)
      Es ist ein kleines Patientenkollektiv betroffen. Alternative Präparate sind vorhanden. Eine Umstellung auf alternative Präparate ist jedoch zeit- und ressourcenintensiv.
    3. Erythromycinlactobionat/Erythromycinsuccinat (Inresa, Stragen)
      Die Zeiträume der Lieferengpassdauer sind verlängert worden. Hier steht die Bedarfsdeckung bei Kindern im Fokus, welche jedoch zum aktuellen Zeitpunkt nicht gefährdet ist.
    4. Levodopa / Carbidopa (Retardformen)
      Die ausstehenden Variations im Zusammenhang mit verunreinigten Arzneimitteln sind bevorzugt bearbeitet worden und im Rahmen dieser Bearbeitung als positiv eingeschätzt. Aktuell bestehen keine Hinweise auf eine Unterversorgung des Marktes.
    5. Medroxyprogesteron Acetat (MPA Hexal)
      Es gibt eine Zwischenproduktion für die 250 mg Stärke, durch welche eine Übergangsreichweite von 4 Monaten gewährleistet wird. Ebenfalls soll durch eine zweite Produktion beider Stärken eine Versorgung für 12 Monate gewährleistet werden.
    6. Heparin (Ratiopharm)
      Ein hoher Marktanteil ist betroffen, jedoch ist eine Kompensation möglich.
    7. Octreotid (Octreotid Hexal)
      Lieferengpass ist durch andere Fertigarzneimittel kompensierbar.
    8. Minoxidil (Pfizer)
      Für eingestellte Patient*innen ist die Umstellung kritisch. Ein Import aus anderen Ländern ist möglich.
    9. Morphinsulfat (Substitol)
      Der Lieferengpass ist verlängert worden. Nach den Informationen des BfArM deckt der Import von Ware den Bedarf ab.
    10. Vincristin (Vincristin 1mg/ml TEVA)
      Es sind beide verfügbaren Hersteller betroffen. Das BfArM steht in kontinuierlichem Austausch mit Unternehmern, um Auswirkungen zu minimieren.
      Importoptionen sind vorhanden.
      Eine Therapieempfehlung ist auf der Website des BfArM veröffentlicht unter
      Aktuelle Empfehlungen der GPOH und DGHO
    11. Vinorelbin (verschiedene Hersteller)
      Ein Austausch der Injektionslösung durch eine Weichkapsel ist möglich. Nach aktuellem Kenntnisstand kann der Bedarf durch Importe gedeckt werden.
    12. Vitaminpräparate für Sondennahrung (Cernevit)
      Mitbewerber importiert aus Österreich. Die Versorgung ist gewährleistet.
    13. Tamoxifen (verschiedene Hersteller)
      s. Top 1
      Die Information über diesen Engpass ist bereits im Vorfeld an den Beirat erfolgt.
      Eine aktuelle Empfehlung der medizinischen Fachgesellschaften ist auf der Website des BfArM veröffentlicht unter:
      Tamoxifen: Empfehlungen der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften vom 09.02.22
    14. Vandetanib (Caprelsa)
      Ein bei Karzinomen verwendetes Arzneimittel. Bei bestimmten sehr seltenen histologischen Gegebenheiten des Karzinoms (ca. 1000 Fälle/Jahr in Europa) sind keine Alternativen vorhanden. Aktuell findet nur eine Lieferung auf Einzelanfrage und Rezeptvorlage statt. Es ist kein Lieferabriss zu erwarten.
    15. Rocuronium
      Es sind therapeutische Alternativen verfügbar. Die Lieferengpässe haben eine kurze Dauer. Die Mitbewerber sind vollständig lieferfähig.
    16. Radiosotope
      Der kurze Lieferengpass ist durch den Ausfall eines Reaktors verursacht worden. Der Reaktor ist kurzfristig wieder in Betrieb genommen worden, um die Produktion wieder aufzunehmen.
  4. Information des PEI zu aktuellen Lieferengpässen
    Das Paul-Ehrlich-Institut gibt einen kurzen Überblick zur aktuellen Versorgung mit RoActemra, welches zur Behandlung von COVID-19 angewendet wird. Trotz hoher Anzahl an Neuinfektionen mit der Omikron Variante, ist kein dramatischer Anstieg in der Abnahme von RoActemra zu erkennen. Die aktuelle Versorgungslage ist als stabil zu bewerten.
    Die Versorgung mit Immunglobulinen ist eingeschränkt. Es wird von einer Wiederverfügbarkeit ab April ausgegangen. Es sind Alternativen bei den Immunglobulinen verfügbar, jedoch ist deren Nutzung von der Indikationsstellung abhängig.
  5. Nächster Termin:
    Die nächste Beiratssitzung findet am 02. Juni 2022 statt.

gez.
Dr. Michael Horn

Bonn, den 15.02.2022