BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

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Ergebnisprotokoll der Sondersitzung am 30. November 2022 des Beirats nach § 52b Absatz 3b AMG
zur Bewertung der Versorgungslage mit Arzneimitteln,
die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind

Ort Webkonferenz von 12:00 - 13:00 Uhr

Die Sitzung fand am 30. November 2022 als Webkonferenz unter dem Vorsitz des BfArM statt.
Die Beschlussfähigkeit des Beirats wurde seitens des BfArM zu Beginn der Sitzung festgestellt.

Dem Beirat gehören als stimmberechtigte Mitglieder folgende Verbände, Organisationen, Institutionen und Behörden an (in alphabethischer Reihenfolge):

  • Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF)
  • Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK)
  • Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
  • Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut (PEI))
  • Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH)
  • Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI)
  • Bundesverband des Pharmazeutischen Großhandels e.V. (PHAGRO)
  • Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA)
  • Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)
  • Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG)
  • Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
  • Kommission Antiinfektiva, Resistenz und Therapie (Kommission ART)
  • Pro Generika e.V.
  • Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
  • Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)
  • Vertreter der Interessen der Patientinnen und Patienten (BAG SELBSTHILFE e.V.)
  • Vertretung der Bundesländer

An der Sitzung am 30. November 2022 haben alle stimmberechtigten Mitglieder, mit Ausnahme der Vertretung der BAG Selbsthilfe teilgenommen.

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat als Gast an der Sitzung teilgenommen.

Tagesordnung:

  1. Begrüßung
    Der Vorsitzende des Beirats (Dr. Michael Horn, Abteilungsleiter 1, BfArM) begrüßt alle Teilnehmenden und eröffnet die Sitzung. Auch der Präsident des BfArM, Herr Prof. Dr. Karl Broich, begrüßt die Teilnehmenden und äußert sich zur aktuellen Lage der Versorgungssicherheit sowie Kooperationen und Aktivitäten zu den Themen Liefer- und Versorgungssicherheit auf europäischer Ebene. Darüber hinaus werden die Aktivitäten und die positive Außenwirkung des Beirats für Liefer- und Versorgungsengpässe anerkennend erwähnt.
  2. Annahme der Tagesordnung
    Der Beirat nimmt die Tagesordnung ohne Ergänzungen an.
  3. Bericht des BfArM über derzeitige Lieferengpässe bei Arzneimitteln und Handlungsoptionen

    Das BfArM berichtet über Lieferengpasssituationen, die zurzeit als kritisch einzustufen sind. Es werden Maßnahmen erläutert, die zur Verfügung stehen, um die Liefersituation und damit auch die Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleisten zu können. Zu den Maßnahmen, welche zur Abmilderung der besprochenen Engpässe herangezogen werden können, gehören die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen auf Grundlage des Arzneimittelgesetzes (AMG) und der Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung (MedBVSV), die Prüfung der Verfügbarkeit von Kontingenten aus Drittstaaten und der Austausch mit Zulassungsinhabern zu vorgezogenen oder erhöhten Produktionen.
    Bezüglich der Engpässe bei folinsäurehaltigen Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung und bei Arzneimitteln zur Fiebersenkung bei Kindern mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen, kommt es derzeit trotz der Implementierung von Maßnahmen und der Erhöhung von Produktionsmengen bedingt durch einen deutlich gestiegenen Bedarf nicht zu einer kontinuierlichen bedarfsgerechten Verfügbarkeit der Arzneimittel. Ziel der Sondersitzung ist die Beratung und Entscheidung über die mögliche Anordnung von Kontingentierungsmaßnahmen für die fraglichen Produkte.
    Es wird noch einmal dargelegt, dass die vorliegenden Bestandsdaten für paracetamol- und ibuprofenhaltige Kinderarzneimittel in der Gesamtschau darauf schließen lassen, dass dem Markt rechnerisch für alle Produkte etwa ein durchschnittlicher Monatsbedarf zur Verfügung steht. Die in den letzten Monaten in den Markt abgegebenen Produktionsmengen übersteigen die Mengen von 2019 (vor Pandemie) deutlich (Abb 1).

    Diagramm Apothekeneinkäufe Paracetamol und Ibuprofen 2019 im Vergleich zu 2022 in 1000 Zähleinheiten

    Es ist aufgrund der steigenden Erkrankungszahlen festzustellen, dass die bestehende Nachfrage nicht flächendeckend durch die verfügbaren Bestände gedeckt werden kann. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verteilproblematik die mindestens regionale Unterversorgung verstärkt. Der Beirat hat daher die unter Punkt 4 beschriebenen Maßnahmen beschlossen.

    Für folinsäurehaltige Produkte wird der Sachstand erläutert. Die ambulante Versorgung ist von dem Engpass stärker betroffen als die stationäre Versorgung, da die Möglichkeit einer Bevorratung gemäß § 73 Abs. 3 AMG im ambulanten, anders als im stationären Bereich, nicht vergleichbar erfolgen kann. Die Analyse der verfügbaren Auswertung zu den Marktdaten (SELL OUT 11/2018 bis 10/2022) legt nahe, dass durch eine gezielte Steuerung der verfügbaren Warenmengen eine Verbesserung der Situation erreicht werden kann. Es wird eine befristet angeordnete Kontingentierung vorgeschlagen, die zu einer Stabilisierung der flächendeckenden Verteilung der Arzneimittel aus anstehenden Produktionen dienen soll (s. Punkt 4).

  4. Kontingentierung verschiedener Wirkstoffe als Maßnahme zur Sicherstellung der bedarfsgerechten Versorgung

    1. Als Maßnahme zur Abmilderung der Lieferengpässe bei pädiatrischen Darreichungsformen mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen wurde die Anordnung einer Kontingentierung vorgeschlagen. Die Mitglieder des Beirats konnten die empfohlene Maßnahme auf Grundlage der präsentierten Marktdaten nachvollziehen, empfahlen aber aufgrund der komplexen Sachlage zum jetzigen Zeitpunkt von der Anordnung abzusehen. Als Gründe für die Entscheidung wurde unter anderem der OTC Status der Präparate angebracht, der die Prüfung der Einhaltung einer Kontingentierung erschwert sowie der schwer zu überprüfende Bedarf der einzelnen Apotheken, der zusätzlich stark variieren kann.

      Die Mitglieder einigten sich auf die Veröffentlichung mehrerer Empfehlungen, die die folgenden Punkte umfasst:

      • Es wird dringend empfohlen, eine Bevorratung, die über das Maß eines wöchentlichen Bedarfs hinausgeht, sowohl in Apotheken als auch in vollversorgenden pharmazeutischen Großhandlungen zu unterlassen. Eine Bevorratung im üblichen Umfang oder darüber hinaus ist mit den aktuellen Beständen nicht realisierbar bzw. wird zu einer Unterversorgung an anderer Stelle führen. Dieser Appell richtet sich insbesondere an öffentliche Apotheken und Großhandlungen.
      • Die Abgabe einer festen oralen Darreichungsform sollte, unter Berücksichtigung des Alters der Patientin oder des Patienten, geprüft werden. Hierzu wird auf die Dosierungstabellen in den einschlägigen Fachinformationen von ibuprofen- und paracetamolhaltigen Arzneimitteln verwiesen, in denen bei teilbaren Tabletten die Einnahme für Kinder ab vier Jahren (Paracetamol) bzw. ab 6 Jahren (Ibuprofen) angeführt wird. Die Darreichungsform Saft sollte an Kinder und Jugendliche ab 9 Jahren ausschließlich auf Rezept abgegeben werden, wenn die Einnahme fester Darreichungsformen nicht möglich ist.
      • Es wird erneut auf die Empfehlungen des Beirats vom 02.08.2022 verwiesen, nach denen in Abstimmung mit dem GKV Spitzenverband, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V. (ABDA) die Rezeptur bzw. Defekturherstellung der in Rede stehenden Produkte befürwortet wird. Dies ist gestützt durch die dringende Empfehlung des GKV Spitzenverbands an seine Mitglieder, die mit dieser Maßnahme entstehenden höheren Kosten zu erstatten. Weiterhin sollen die entsprechenden Verschreibungen auch in der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Praxen gesondert berücksichtigt werden. Die Empfehlungen aus August finden Sie weiter unten auf dieser Seite.

        Darüber hinaus wurde im Sinne der Transparenz die Veröffentlichung von Marktdaten zusammen mit der Empfehlung beschlossen. Die Empfehlung im Wortlaut findet sich unter folgendem Link

    2. Der Beschlussvorschlag zur Kontingentierung von folinsäurehaltigen Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung wird unter Enthaltung der Vertretung des PHAGRO ohne Gegenstimmen angenommen. Diese soll eine Einschränkung des Distributionsweges auf Direktbelieferungen sowie eine Einschränkung der Belieferung auf den Bedarf einer Woche beinhalten. In Klinikapotheken verfügbare Warenmengen können uneingeschränkt zur Anwendung kommen. Weiterhin soll in diesem Zuge Kliniken der Bezug von 10er Gebinden empfohlen werden um mehr 1er Gebinde für die ambulante Versorgung verfügbar zu machen. Eine Befristung ist bis Ende Februar 2023 vorgesehen.
  5. Verschiedenes

    Eine Verschärfung der Engpässe bei sulfamethoxazol/trimethoprimhaltigen Arzneimitteln in der Darreichungsform Tabletten wird beobachtet. Das BfArM wird eine aktuelle Sachverhaltsermittlung durchführen und den Beirat darüber informieren. Berücksichtigung finden in der Prüfung auch mögliche Maßnahmen zur Minderung der Lieferengpasssituation.

  6. Nächster Termin
    Die Termine für die nächsten Sitzungen des Beirats in 2023 werden Anfang des Jahres abgestimmt werden.

gez.
Dr. Michael Horn

Bonn, den 30.11.2022