BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Navigation und Service

Protokoll zur Sondersitzung des JF zu Liefer- und Versorgungsengpässen zur Entwicklung von Kriterien zur nachhaltigen Verbesserung der Lieferfähigkeit versorgungsrelevanter Basistherapeutika in Krankenhäusern am 07.03.2018.

Ort Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Kurt-Georg-Kiesinger- Allee 3, 53175 Bonn; 10:30 - 13:30 Uhr

TOP 1: Begrüßung

Teilnehmende der Sitzung:
Prof. Dr. Dr. Marianne Abele-Horn, Kommission ART
Dr. Jochen Schnurrer, ADKA
Gloria von Schorlemmer RAin, Progenerika e.V.
Prof. Dr. Bernhard Wörmann, dgho
Christian Ziegler Dipl.-Volksw., DKG
Dr. Oliver Onusseit, BMG
Dr. Michael Horn, BfArM
Dr. Stephanie Weinhausen, BMG
Gabriele Eibenstein M.A., BfArM

TOP 2: Annahme der Tagesordnung

Die Tagesordnung wurde ohne Ergänzung angenommen

TOP 3: Einführung

Im 3. Jour Fixe zu Liefer‐ und Versorgungsengpässen am 31.03.2017 wurde als Schwerpunkthema die Krankenhausversorgung, insbesondere mit (generischen) Antibiotika diskutiert. Die Teilnehmenden des JF bestätigten einen Zusammenhang zwischen den zum Teil sehr niedrigen Preisen für Basistherapeutika in der Krankenhausversorgung und wiederkehrenden Lieferengpässen.

Sowohl die Vertreter der „Krankenhausseite“ als auch die pharmazeutische Industrie sahen einen Mehrwert mit dem Resultat einer verbesserten Lieferfähigkeit eines Arzneimittels, wenn als Ausgleich für die Sicherstellung robusterer Produktionsketten eine bessere Planbarkeit für einen angemessenen Preis geboten wird, z. B. durch vereinbarte Abnahmesicherheiten. Angemessene Preise für Basistherapeutika könnten im Umkehrschluss das Gesundheitssystem und die Krankenhäuser sogar finanziell entlasten, da bei einer verbesserten Lieferfähigkeit nicht auf teurere Alternativpräparate ausgewichen werden müsste und auch Ressourcen in den Krankenhäusern, die aktuell mit dem Lieferengpassmanagement befasst sind, anders eingesetzt werden könnten.

Es wurde vereinbart, in einer Sondersitzung des Jour Fixe mit den primär Betroffenen mögliche Rahmenbedingungen für eine Leitlinie zur guten Einkaufs- und Vertragspraxis im Hinblick auf die Vermeidung von Lieferengpässen zu erörtern.

Diskussion

Gemäß den beim BfArM eingehenden Meldungen sind versorgungsrelevante Lieferengpässe überwiegend bei Antiinfektiva und antineoplastischen Arzneimitteln insbesondere zur parenteralen Anwendung zu verzeichnen. Häufigste Ursache für Lieferengpässe sind Qualitätsmängel bei der Herstellung, Probleme in der Produktion (Produktionsausfall, unzureichende Produktionskapazitäten, Produktions- und Lieferverzögerungen für Rohstoffe, eingeschränkte Verfügbarkeit des Wirkstoffs oder Produktionseinstellungen bei Arzneimitteln) als Folge der Globalisierung und der Konzentration auf wenige Herstellungsstätten für Arzneimittel und / oder Wirkstoffe (Oligo- bis hin zur Monopolisierung der Produktion von Intermediates und Wirkstoffen) u.a. aufgrund des Preisdrucks in den nationalen Gesundheitssystemen.

Als maßgeblich unterstützendes Element zur Planungssicherheit für die Vertragsparteien wird die Vertragslaufzeit gesehen. Je kürzer die Laufzeiten bei Verträgen sind, desto anfälliger ist die Bereitstellungssystematik für bestimmte Wirkstoffe. Es wird davon ausgegangen, dass Vertragslaufzeiten von mindestens 12 Monaten mit einem hinreichenden Vorlauf von mindestens 6 Monaten für eine angemessene Planung notwendig sind.

Die Validität der Lieferfähigkeit könnte bei den Vertragsverhandlungen durch den pharmazeutischen Unternehmer plausibel belegt werden (z. B. durch Offenlegung von Intermediate- und Wirkstoffherstellern), und müsste bei den Angebots- und bei der Preisgestaltung berücksichtigt werden, um den Krankenhäusern eine objektive Entscheidungsgrundlage zu bieten. Aus Sicht der Krankenhäuser sollten solche Detailangaben zu Intermediate- und Wirkstoffherstellern mittelfristig von den Bundesoberbehörden verifiziert werden.

Zusammenfassung der Ergebnisse:

Sowohl die Vertreter der pharmazeutischen Unternehmer als auch die Krankenhäuser betonten wie wichtig gegenseitige Verlässlichkeit, Offenheit und Transparenz für die Vertragsverhandlungen sind.

Die Teilnehmer des Sonder-Jour Fixe stimmen darin überein, dass auch die Robustheit der Lieferkette eine wichtige Rolle bei Vertragsverhandlungen spielen kann und sollte.

Die Robustheit der Lieferfähigkeit sollte vom pharmazeutischen Unternehmer belastbar belegt werden können, wenn dies in der Preisgestaltung angemessen berücksichtigt wird.
Eine aktive Einbeziehung der Bundesoberbehörden in den Prozess der Vertragsgestaltung ist nicht möglich. Stattdessen könnten z.B. Auszüge aus dem Arzneimittelinformationssystem, als offizielle Quelle, als Belege von der pharmazeutischen Industrie vorgelegt werden. Durch Erweiterungen in der Datenbank könnten in den kommenden Jahren neben den Wirkstoffherstellern schrittweise auch z. B. die Intermediate-Hersteller hinterlegt werden.

Robuste Lieferketten, die Liefersicherheit bieten, sind auch ein Ergebnis angemessener Preise.

Es muss zwischen kurz-, mittel- und langfristig erreichbaren Zielen unterschieden werden.
Durch eine entsprechende Vertragsgestaltung zwischen den Vertragsparteien können Anreize und Planungssicherheit, auch im Sinne einer garantierten Abnahmemenge für die pharmazeutische Industrie geschaffen werden, die einen Ausweg aus der zunehmenden Marktkonzentration ebnen können. Für die Herstellung von Arzneimitteln, die anhand der definierten Kriterien als versorgungskritisch einzustufen sind, ist die Existenz mehrerer voneinander unabhängiger Produktionslinien wünschenswert. Hierbei sollte auch darauf geachtet werden, dass mögliche Schwankungen in den Produktionslinien ausgeglichen werden können. Bei Arzneimitteln, die diskontinuierlich produziert werden, müssten Schwankungen auf anderem Wege abgefedert werden. Produktionsstätten sollten geografisch aber auch geopolitisch in verschiedenen Regionen, vorzugsweise auch innerhalb des EWR angesiedelt sein.

Zur kurzfristigen Verbesserung der Robustheit der Lieferfähigkeit insbesondere versorgungsrelevanter Arzneimittel kann optional u.a. auch eine zwischen den Vertragsparteien vereinbarte gesonderte Lagerung durch die pharmazeutische Industrie für den Vertragspartner in Betracht gezogen werden.

Die Vertragsparteien sind angehalten, dafür Sorge zu tragen, Verträge in einer für beide Seiten angemessenen Weise zu schließen, die das Risiko von Lieferengpässen bei unverzichtbaren Arzneimitteln minimiert.

Die Notwendigkeit der Lieferfähigkeit von Arzneimitteln steigt mit der Bedeutung des Arzneimittels für die Versorgung von Patientinnen und Patienten. Bedeutend für die Versorgung sind Arzneimittel insbesondere dann, wenn keine therapeutischen Alternativen vorhanden oder solche nur aufwendig zu beschaffen sind.

Auf folgende Kriterien zur Identifizierung von unverzichtbaren Arzneimitteln wurde sich im Rahmen der Diskussion verständigt:

  1. Bei Nicht-Verfügbarkeit verschlechtert sich die Prognose der betroffenen Patienten und
  2. das Arzneimittel muss kurzfristig (innerhalb von 24 Stunden) und dauerhaft für die Versorgung der Patienten erhältlich sein und
  3. das Arzneimittel wird in inhaltlich aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften empfohlen bzw. es entspricht der aktuellen Therapie und
  4. für das Arzneimittel gibt es aktuell keine gleichwertige Alternative.

    Dabei ist auch die Größe des Patientenkollektivs zu berücksichtigen, das mit dem Arzneimittel üblicherweise behandelt wird.

Die Vereinbarung angemessener Vertragslaufzeiten spielt eine zentrale Rolle bei der Vermeidung von Lieferengpässen versorgungskritischer Arzneimittel, da sie die Planungssicherheit beiderseits erhöhen.

Bei den Vertragsverhandlungen ist auf versorgungskritische unverzichtbare Arzneimittel gesondert hinzuweisen.

Die Vertragspartner verpflichten sich zu gegenseitigem Verständnis, ausreichender Transparenz und konstruktiver Zusammenarbeit mit dem Ziel beiderseits dazu beizutragen die Einkaufs- und Vertragspraxis in einer Weise zu gestalten die dazu beiträgt die Robustheit der Lieferketten und die damit einhergehende Liefersicherheit zur erhöhen, um die Patientenversorgung weiter zu verbessern.

Weiteres Vorgehen / Ausblick

Die Ergebnisse können dazu beitragen eine Leitlinie zur guten Einkaufs- und Vertragspraxis zu formulieren, die bei Vertragsverhandlungen genutzt werden sollte.

Die Diskussion ergab folgende Anforderungen, deren Berücksichtigung im Rahmen der Vertragsgestaltung bei unverzichtbaren Arzneimitteln dazu beiträgt die Liefersicherheit zu verbessern.

  1. Vertraglich vereinbarte Vorratshaltung für den Vertragspartner seitens der pharmazeutischen Industrie zur kurzfristigen Verbesserung der Liefersicherheit.
  2. Nutzung von mehreren Produktionslinien, resp. Wirkstoff- und Intermediate-Quellen durch den pharmazeutischen Unternehmer. Hierbei ist auch darauf zu achten, dass mögliche Schwankungen der Produktionslinien ausgeglichen werden können.
  3. Bei Arzneimitteln, die diskontinuierlich produziert werden, müssen mögliche Schwankungen auf anderem Wege abgefedert werden.
  4. Bei der Wahl der Produktionsstätten durch den pharmazeutischen Unternehmer wäre es wünschenswert, dass diese geografisch aber auch geopolitisch in verschiedenen Regionen liegen, vorzugsweise auch innerhalb des EWR.
  5. Im Rahmen der Vertrags- und Preisverhandlung sollten die Aspekte der Lieferfähigkeit und Liefersicherheit verstärkt berücksichtigt werden. Die Validität der Lieferfähigkeit ist bei der Angebotsgestaltung durch den pharmazeutischen Unternehmer nachprüfbar zu belegen, um den Krankenhäusern eine gesicherte Entscheidungsgrundlage zu bieten. Krankenhäuser erhalten damit die Möglichkeit, die Vertragsangebote mit einer belegbar höheren Liefersicherheit auszuwählen. Das bietet für die Industrie den entsprechenden Anreiz, um nachhaltig zu planen und eine dauerhafte Verbesserung der Lieferfähigkeit für die hier in Rede stehenden Arzneimittel zu etablieren. Die damit verbundenen Mehrkosten sind aus Sicht der Krankenhäuser zu akzeptieren, sofern objektiv die Liefersicherheit für die Krankenhäuser spürbar verbessert wird.
  6. Bei einem hohen Arzneimittelbedarf sollten Krankenhäuser Verträge mit mehreren Zulassungsinhabern, die über unterschiedliche Produktionsstätten und Wirkstoffquellen etc. verfügen, abschließen.

Die Berücksichtigung der in der Leitlinie zu formulierenden Kriterien kann einen wesentlichen Schritt in Richtung der dauerhaften Verbesserung der Lieferfähigkeit darstellen.

Die Kriterien der Leitlinien sollten regelmäßig im Jour Fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen dahingehend überprüft werden, ob diese zu einer Verbesserung der Situation beitragen oder ggf. angepasst werden müssen.

Gez.

Dr. M. Horn / BfArM / 26.04.2018