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Empfehlungen zu komplexen klinischen Prüfungen in mononationalen klinischen Prüfungen der frühen Entwicklungsphase (Early Phase Complex Clinial Trials)

Moderne Studienprotokolle für klinische Prüfungen der Phase I bzw. I/IIa („early phase clinical trials“) beinhalten häufig mehrere klassische klinische Prüfungen der Phase I in Form von integrierten, aufeinander aufbauenden Substudien. Typisch sind z. B. aufeinanderfolgende Substudien mit Einfachdosierung (SAD), Mehrfachdosierungen (MAD) und Interaktionsstudien mit Lebensmitteln und anderen Arzneimitteln, denen sich zum Teil noch eine Pharmakodynamik (PD)-Studie an Patientinnen und Patienten anschließt. Diese komplexen Studienprotokolle können allerdings nur dann einen Geschwindigkeitsvorteil bieten, wenn die einzelnen Substudien nicht vor ihrer Durchführung die Vorlage einer genehmigungspflichtigen wesentlichen Änderung („Substantial Modification“) erfordern.

Zu diesem Zweck empfehlen BfArM und PEI die Umsetzung eines „Leitplankenkonzepts“, das beschreibt, in welchem Sicherheitskorridor sich die Probandinnen und Probanden bzw. Patientinnen und Patienten während der Durchführung dieser integrierten Studien bewegen. So lange dieser „Korridor“ in mononationalen klinischen Prüfungen hinreichend im genehmigten Prüfplan beschrieben ist und im Verlauf der integrierten Studie nicht verlassen wird, können die einzelnen Studienteile in der Regel ohne vorherige Substantial Modification aufeinander aufbauend durchgeführt werden, sofern folgende Grundprinzipien beachtet werden:

  1. Die Studienziele sind im Prüfplan klar benannt und sind in ihrer Gesamtheit für den Prüfer nachvollziehbar.
  2. Für den Fall, dass der Übergang von einem Studienteil zum nächsten ohne eine Substantial Modification erfolgen soll, ist dies im Prüfplan deutlich kenntlich zu machen und es sind klare Definitionen für die Kriterien im Prüfplan erforderlich, ab wann vom Sponsor eine Substantial Modification eingereicht wird:

    • a) Es sind eindeutige Grenzwerte für noch akzeptable Laborwertveränderungen zu definieren, welche der Tatsache adäquat Rechnung tragen, dass es sich im Regelfall um gesunde Probandendinnen bzw. Probanden handelt. Die Kriterien für die Bestimmung der Recommended Phase 2 Dose (RP2D) müssen klar beschrieben sein.
    • b) Zusätzliche Dosisstufen können ohne Erfordernis einer SM eingefügt werden, solange die im Prüfplan beschriebene und als tolerabel angesehene maximale Dosis und Dosierung bzw. die vorgesehenen maximalen Expositionen nicht überschritten werden. Beim Übergang von SAD- zum MAD-Part oder vom i.v.- zum s.c.-Part sollte die initiale Exposition im Rahmen dessen liegen, was auf Grundlage bisheriger klinischer Daten als sicher eingestuft wird.
    • c) Es sind Grenzwerte für die Häufigkeit von Adverse Events aller unterschiedlichen Schweregrade zu definieren, die ohne Substantial Modification als akzeptabel betrachtet werden („Leitplankenkonzept“).
    • d) Ferner sind in Abhängigkeit von den präklinischen Ergebnissen und dem postulierten Wirkprinzip (mechanism of action) pharmakologisch begründete Grenzwerte für Adverse Events im Speziellen zu definieren, welche diesen pharmakologischen Aspekten angemessen Rechnung tragen. Dabei kann eine Gruppierung zum Beispiel nach System Organ Class erwogen werden.
    • e) Auch bei milden oder moderaten Adverse Events ist im Falle einer unerwarteten Häufung, z.B. in einem Organsystem, eine adäquate Aufarbeitung in Prüfplan und der Probandeninformation (ICF) vorzusehen, wenn dies die Entscheidung der Probandinnen und Probanden, an der Studie teilnehmen zu wollen, relevant beeinflussen könnte. In diesem Fall sind eine geänderte Probandenaufklärung sowie der Prüfplan mit überarbeitetem Abschnitt zum Nutzen/Risiko-Verhältnis zur Genehmigung einzureichen.
    • f) Falls prospektiv definierte Sicherheitsmaßnahmen im Falle bestimmter Ereignisse eingeführt werden sollen, sind auch hierfür eindeutige Eskalationskriterien im Prüfplan zu definieren. So kann zum Beispiel im Falle des Auftretens bestimmter kardiologischer Ereignisse ein kardiologisches Konsil vor einer Re-Exposition betroffener Teilnehmer und vor dem Übergang zu einem folgenden Studienteil verpflichtend eingeplant werden.

    • Aus den in den Punkten a und c-f genannten Aspekten sind entsprechende Abbruchkriterien (und Kriterien für Dose Limiting Toxicities (DLT)) abzuleiten und im Prüfplan niederzuschreiben.
    • In der Regel sind in den genannten Studien der Phase I/I-IIa keine Data Safety Monitoring Boards (DSMB) zu etablieren (s. hierzu GUIDELINE ON DATA MONITORING COMMITTEES, EMEA/CHMP/EWP/5872/03 Corr, 2006). In bestimmten Fällen können sie aber unterstützend sein und eingerichtet werden. Eine Beteiligung eines solchen DSMB bzw. auch eines internen Safety Review Committees oder einer vergleichbaren Einrichtung an der laufenden Bewertung der Sicherheit der Teilnehmenden kann als zusätzlicher Aspekt zur steten Überwachung der Teilnehmenden angesehen werden und sollte dann auch im Prüfplan beschrieben sein. In diesem Rahmen kann beispielsweise auch festgelegt werden, dass ein Übergang in die nächste Studienphase nur bei positivem Votum dieses Gremiums erfolgt. (Dieses Votum muss nicht als Substantial Modification vorgelegt werden.)
  3. Eine Substantial Modification ist immer dann erforderlich, wenn sich die Nutzen-Risiko-Einschätzung im Laufe der Studie wesentlich verändert. Gleiches gilt für eine relevante Änderung der Fallzahl (mehr als +/- 10%) oder der Ein-, Ausschluss- oder Abbruchkriterien. Dies ist vom Sponsor adäquat anhand der Daten der jeweils abgeschlossenen Kohorten und Studienarme zu bewerten und zu entscheiden. Dieses Vorgehen ist bereits im Prüfplan zu beschreiben. Als Orientierung für den Antragsteller können Kriterien genutzt werden, die z. B. für Dosiseskalationsentscheidungen im SAD- oder MAD-Studienpart ohne Substantial Modification herangezogen werden.
  4. Der Übergang vom Gesunden zum Patienten in einem „integrierten“ Early Phase Protocol kann sinnvoll sein, wenn für die Etablierung einer adäquaten PK/PD-Korrelation für die nachfolgenden Entwicklungsschritte keine geeignete PD-Response in gesunden Personen zu erwarten ist. Dieser Schritt vom Gesunden zum Patienten ist ohne Substantial Modifikation möglich, sofern dies im Prüfplan zuvor beschreiben und die folgenden Kriterien erfüllt sind:

    • a) Die Patientenpopulation weist ein stabiles, in der Regel leichtes bzw. moderates Krankheitsbild auf, das eine solche Anwendung mit einem vertretbaren Risiko zulässt.
    • b) Die Substudien an Gesunden sind vollständig ausgewertet, mit wissenschaftlich hinreichend langer Nachbeobachtung (Dauer von PK und PD abhängig).
    • c) Es sind klare Kriterien für den Wechsel vom Gesunden zum Patienten im Prüfplan zu definieren, welche sich an der allgemeinen, oben skizzierten Systematik orientieren
    • d) Sind targetspezifische Toxizitäten möglich, die im Gesunden nicht beobachtet werden können (z. B. weil das Target im Gesunden nicht exprimiert wird), ist dem adäquat Rechnung zu tragen. Dies können z. B. höhere Anforderungen an das Sicherheitsmonitoring, eine Dosisreduktion der Startdosis und/oder eine langsamere Dosiseskalation im Patienten sein.
    • e) Die Teilnahme an und die Intervention innerhalb der Studie darf keine klinisch relevanten erwartbaren Nachteile für die vorgesehene Patientenpopulation mit sich bringen. Dies ist adäquat im Prüfplan darzulegen.
    • f) Die Antragsteller/Sponsoren sind gehalten, die einschlägigen Guidelines und Empfehlungen der europäischen Behörden zu berücksichtigen (z. B. EMEA/CHMP/SWP/28367/07 Rev. 1 „Guideline on strategies to identify and mitigate risks for first-in-human and early clinical trials with investigational medicinal products“ und „CTCG Q&A on submission Complex Clinical Trials in CTIS“, in der aktuellen Version). V.a. kann dem sogenannten Sentinel-Ansatz eine besondere Bedeutung zukommen, der für die verschiedenen Studienphasen beschrieben werden sollte. Zudem sollte bei komplexen, multizentrischen Studien ein Kommunikationsplan existieren, der die frühzeitige Detektion und Weiterleitung von Sicherheitssignalen an alle Beteiligten der Studie beschreibt.