BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

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Ergebnisprotokoll der 77. Routinesitzung nach § 63 AMG am 17. November 2015

Ort Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn

TOP 1 Genehmigung der Tagesordnung für die 77. Routinesitzung

Die Tagesordnung wird in der als Tischvorlage vorliegenden Form genehmigt. Gegenüber der den Sitzungsteilnehmern vorab zur Verfügung gestellten Version wurden unter dem TOP 5 (Verschiedenes) noch ein Kurzbericht vom Erfahrungsaustausch mit PEI/BfArM zu den Anforderungen an Parallelimporteure sowie die Information zum Stand der Diskussion zur Kennzeichnung von Schulungsmaterial zusätzlich aufgenommen.

TOP 2 Diskussion zu den Sachstandsberichten über eingegangene Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) und zu Medikationsfehlern

Die Sachstandsberichte über eingegangene Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) aus den Geschäftsbereichen des BfArM, PEI und des BVL und der Sachstandsbericht zu Medikationsfehlern, der vom BfArM erstellt wird, sind den Teilnehmenden der Routinesitzung jeweils vorab zur Verfügung gestellt worden. Bei der Diskussion gibt es Nachfragen aus dem Auditorium. So führt der Sachstandsbericht zu den Medikationsfehlern zu einer Frage nach der Definition des Medikationsfehlerbegriffes.



TOP 3 Information zu nationalen und europäischen Risikobewertungen

  1. Europäische Risikobewertungsverfahren (Referrals)

    1. Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin: Diabetische Ketoacidose, Verfahren nach Art. 20 der VO (EG) Nr. 726/2004
      Das BfArM berichtet zum Verfahren nach Art. 20 der VO (EG) Nr. 726/2004 zu den Natrium-Glucose-Co-Transporter2 (SGLT 2)-Inhibitoren Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin. Das Verfahren war aufgrund von mehr als hundert Nebenwirkungsmeldungen einer diabetischen Ketoazidose im Juni 2015 eingeleitet worden. Die Mehrzahl der Fälle, die durch einen untypischen, nur mäßig erhöhten Blutzuckerspiegel gekennzeichnet sind, betraf Typ2-Diabetiker (etwa 30% der Fälle entfiel auf einen off-label-use bei Typ1 Diabetikern). Nach Auswertung der Daten aus den Fragen an die pharmazeutischen Unternehmer ist mit Änderungen im Risk Management Plan und in den Produktinformationen zu rechnen. Im November 2015 stand noch das Ergebnis der Bewertung der Daten zu einer weiteren Fragenliste aus.

      SGLT2-Hemmer: Einleitung eines europäischen Risikobewertungsverfahrens zur Untersuchung diabetischer Ketoazidosen



    2. Inhalative Kortikosteroide (ICS): Pneunomie-Risiko bei COPD-Patienten, Verfahren nach Art. 31 der RL 2001/83/EG
      Das BfArM trägt zum Verfahren nach Art. 31 der RL 2001/83/EG zu den inhalativen Kortikosteroiden (ICS) vor. Ziel ist die Harmonisierung der Produktinformationen im Hinblick auf ein erhöhtes Pneumonierisiko bei Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD). Dieses Risiko war für Fluticason seit der TORCH-Studie (2007) bekannt. Nun wurden die pharmazeutischen Unternehmer ICS-haltiger Arzneimittel (Mono- oder Kombinationspräparate mit langwirksamen Beta-2-Agonisten (LABA)) aufgefordert, alle vorhandenen Daten (klinische und epidemiologische Studien, Metaanalysen) vorzulegen und zu diskutieren. Vorschläge zu Änderungen der Produktinformationen und zu weiteren Risikominimierungsmaßnahmen werden erwartet.

      Inhalative Kortikosteroide (ICS): Einleitung eines europäischen Risikobewertungsverfahrens


    3. Fusafungin (Locabiosol): Schwere Überempfindlichkeitsreaktionen, Verfahren nach Art. 31 der RL 2001/83/EG
      Das BfArM informiert über den Start des Risikobewertungsverfahrens nach Art. 31 der RL 2001/83/EG zu fusafunginhaltigen Arzneimitteln, die als Mund- oder Nasenspray zur kurzzeitigen antiinflammatorischen und antibakteriellen Therapie bei akut entzündlichen Erkrankungen der oberen Luftwege angewendet werden. Es kam zu einem Anstieg der Meldungszahlen zu schweren allergischen Reaktionen bei Erwachsenen und Kindern in Zusammenhang mit fusafunginhaltigen Arzneimitteln, die in Deutschland unter dem Namen Locabiosol verkauft werden. Der Fragenkatalog an den pharmazeutischen Unternehmer umfasste Analysen der Berichte zu Überempfindlichkeitsreaktionen, Stellungnahmen zur Wirksamkeit, die Diskussion einer möglichen Resistenzentwicklung sowie eine Analyse zur Rolle der Hilfsstoffe. Des Weiteren sollen Risikominimierungsmaßnahmen vorgeschlagen werden. Der erste Bewertungsbericht des Rapporteurs und Co-Rapporteurs wurde am 18. November 2015 zirkuliert.

      Fusafungin (Locabiosol®): Einleitung eines europäischen Risikobewertungsverfahrens aufgrund einer steigenden Anzahl schwerer Überempfindlichkeitsreaktionen

    4. Dibotermin alfa (Inductos): Mängel bei den Herstellungsanforderungen, Verfahren nach Art. 20 der VO (EG) Nr. 726/2004
      Das BfArM erläutert den Hintergrund zum Risikobewertungsverfahren nach Art. 20 der VO (EG) Nr. 726/2004 zu Inductos, welches aufgrund eines Mangels in der guten Herstellungspraxis (GMP) eingeleitet wurde.
      Das Arzneimittel besteht aus einer resorbierbaren Matrix, auf die der aufzulösende Wirkstoff Dibotermin alfa aufgetragen wird. Anschließend wird diese zur Unterstützung bei der Bildung von neuem Knochengewebe implantiert. Beim Zulieferer der Trägermatrix waren bei einer Inspektion schwerwiegende GMP-Mängel festgestellt worden. Diese betrafen in erster Linie die Vorkehrungen zur Verhinderung einer Kontamination der Trägermatrix mit Partikeln.
      Das Verfahren wurde von der EU-Kommission eingeleitet und die Risikobewertung erfolgte im Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP). Um die Einhaltung der EU-Vorgaben zur GMP einzufordern, hat der CHMP das Ruhen der Zulassungen empfohlen, bis die GMP-Mängel zufriedenstellend behoben sind.
      Die betroffenen Ärzte und Apotheker wurden in zwei vom CHMP verabschiedeten Rote-Hand-Briefen auf die Problematik hingewiesen. Ein Rote-Hand-Brief wurde zu Beginn des Verfahrens und ein weiterer aufgrund des drohenden Lieferengpasses in der zweiten Oktoberwoche versendet.

      Rote-Hand-Brief zu InductOs 1,5 mg/ml Pulver, Lösungsmittel und Matrix für Matrix zur Implantation: Arzneimittelengpass

    5. GVK Bioscience: Mangelhafte Bioäquivalenzstudien, Verfahren nach Art. 31 der RL 2001/83/EG
      Das BfArM fasst die Ergebnisse des Verfahrens nach Art. 31 der RL 2001/83/EG zusammen. Das Verfahren war von der EU-Kommission aufgrund mangelhafter Bioäquivalenzstudien, die im Auftrag der Hersteller einer Vielzahl generischer Arzneimittel von der indischen Firma GVK Bioscience durchgeführt worden waren, initiiert worden. Vorausgegangen war eine EU-Inspektion zur guten klinischen Praxis (GCP), bei der in allen neun überprüften Studien gefälschte Elektrokardiodiagramme (EKG) aufgefallen waren.
      Der Untersuchungszeitraum des Risikobewertungsverfahrens wurde im Laufe des Verfahrens von 2008 auf 2004 bis 2015 ausgedehnt. Im Ergebnis haben die EU-Gremien unterschieden zwischen Arzneimitteln, für die die Genehmigung des Inverkehrbringens aufrecht erhalten werden soll und solchen, für die das Ruhen der Zulassungen angeordnet werden soll, bis die Bioäquivalenz mit einem EU-Referenzarzneimittel durch eine Studie nachgewiesen wurde, in der das Präparat direkt mit dem EU-Referenzarzneimittel verglichen wurde. Von dem Beschluss der EU-Kommission C(2015)5100 vom Juli 2015 waren in Deutschland zunächst 54 und mit Stand vom 1. Oktober 2015 noch 50 Arzneimittel betroffen.

      Pharmaceuticals - Community Register - Human nationally authorised medicinal products



    6. Impfstoffe gegen humane Papillomviren (HPV) (Cervarix, Gardasil, Silgard): Complex Regional Pain Syndrome (CRPS) und Postural Orthostatic Tachycardia Syndrome (POTS), Verfahren nach Art. 20 der VO (EG) Nr. 726/2004
      Das PEI informiert über das Risikobewertungsverfahren nach Art. 20 der VO (EG) Nr. 726/2004 zu den Impfstoffen gegen humane Papillomviren (Cervarix, Gardasil/Silgard und Gardasil-9). Das Verfahren wurde aufgrund zweier Signale, die das Risiko für das Auftreten des komplexen regionalen Schmerz-Syndroms (CRPS) und das Risiko für das Auftreten des posturalen orthostatischen Tachykardie-Syndroms (POTS) betrafen, eingeleitet. Die Bewertung des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) wurde im November abgeschlossen. Der Anfangsverdacht konnte nicht bestätigt und ein ursächlicher Zusammenhang konnte nicht festgestellt werden. Das PEI hat die Ergebnisse auf seiner Webseite veröffentlicht:

      Erneute Analyse des Sicherheitsprofils der HPV-Impfstoffe durch die EMA gibt keinen Hinweis auf einen Zusammenhang mit den Syndromen CRPS oder POTS



    7. Tysabri (Natalizumab): Erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Progressiven Multifokalen Leukenzephalopathie (PML), Verfahren nach Art. 20 der VO (EG) Nr. 726/2004
      Das PEI trägt vor zum erhöhten Risiko für das Auftreten einer progressiven multifokalen Leukenzophalopathie (PML) im Zusammenhang mit dem monoklonalen Antikörper Natalizumab (Tysabri) zur Zweitlinientherapie der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (MS).

      Die Symptome der PML sind schwierig zu unterscheiden vom Krankheitsbild der MS. Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer PML wurde bei einer Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren, nach vorheriger immunsuppressiver Therapie und bei Vorliegen von Antikörpern gegen das JC Virus festgestellt. Eine PML kann auch noch innerhalb von 6 Monaten nach Beendigung der Therapie auftreten. Das Verfahren soll untersuchen, inwieweit die bisherigen Risikominimierungsmaßnahmen möglicherweise verbessert werden können.
      Das Verfahren nach Artikel 20 der VO (EG) Nr. 726/2004 ist noch nicht abgeschlossen. In einem nächsten Schritt ist ein Austausch mit einer wissenschaftlichen Beratergruppe von Neurologen geplant.

  2. Weitere EU-Risikobewertungen

    1. Fumarsäureester (Tecfidera/Fumaderm): Erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Progressiven Multifokalen Leukenzephalopathie (PML), Empfehlung des CHMP
      Das BfArM berichtet über den Abschluss des Worksharing-Variation-Verfahrens zu fumarathaltigen Arzneimitteln und die Aktualisierung der Produktinformationen bezüglich des Risikos des Auftretens einer progressiven multifokalen Leukenzophalopathie (PML). Die wissenschaftliche Bewertung erfolgte im Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) unter Federführung Deutschlands (Rapporteur).
      Vor dem Hintergrund eines gemeldeten Todesfalles einer PML im Zusammenhang mit dem Arzneimittel Tecfidera® (Dimethyfumarat), welches zur Behandlung der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose zugelassen ist, wurde im Oktober 2014 durch Deutschland ein europäisches Signalverfahren eingeleitet. Darüber hinaus waren bis Ende Oktober 2014 insgesamt 7 Fälle einer PML im Zusammenhang mit der Anwendung des fumarathaltigen Kombinationsarzneimittels Fumaderm®, welches zur Behandlung von mittelschwerer bis schwerer Psoriasis vulgaris in Deutschland zugelassen ist, gemeldet worden. Als Ergebnis des Signalverfahrens zu Tecfidera wurde im Dezember 2014 ein Worksharing-Variation-Verfahren zu dimethylfumarathaltigen Arzneimitteln (Tecfidera® und Fumaderm®) zwecks Anpassung der Produktinformationen auf europäischer Ebene gestartet. Mit Stand 31. Oktober 2015 lagen drei bestätigte PML-Fälle zu Tecfidera®, welche ohne Hinweis auf andere immunsuppressive Erkrankungen oder Therapien auftraten, und bis November 2015 insgesamt 15 bestätigte PML-Fälle zu dimethylfumarathaltigen Arzneimitteln vor.
      Das Worksharing-Variation-Verfahren wurde im November 2015 mit der Empfehlung zu umfangreichen Textänderungen in den Abschnitten Warnhinweise und Nebenwirkungen für Tecfidera® und konkretisierenden Ergänzungen zu Fumaderm®, bei denen auch das Risiko des Auftretens einer PML benannt wird, abgeschlossen. Darüber hinaus wurde der pharmazeutische Unternehmer aufgefordert, die Risikomanagementpläne zu aktualisieren und neue Studien zu initiieren (u.a. mechanistische und klinische Studien) bzw. laufende Studien zu ergänzen.
      Die Risiken und Handlungsempfehlungen (u.a. häufigere Blutbildkontrollen (inkl. Lymphozyten) und MRT-Untersuchungen für Tecfidera) wurden in EU-weit abgestimmten Rote-Hand-Briefen im Dezember 2014 und im November 2015 für Tecfidera® sowie in Deutschland im Juni 2013 und November 2015 für Fumaderm® an die betroffene Ärzteschaft (Neurologen bzw. Dermatologen) kommuniziert.





  3. Arzneimittelfälschungen

    1. Bericht aus der Bund-Länder-ArbeitsgruppeArzneimittelfälschungen vom 16. November 2015

      Das PEI gibt einen Überblick über die Fälschungsfälle des letzten Jahres aus dem Zuständigkeitsbereich des PEI. Die Meldung von Fälschungen aber auch von Diebstählen wird weiterhin über das etablierte System erfolgen. In der Sitzung der Arbeitsgruppe wurden Maßnahmen diskutiert, um den Informationsfluss weiter zu verbessern und die Zusammenarbeit mit den Obersten Landesüberwachungsbehörden und mit den Strafverfolgungsbehörden weitergehend zu koordinieren.

TOP 4 Allgemeine Regularien und organisatorische Angelegenheiten

  1. Nachverfolgung von UAW-Berichten und Vorgehen der AkdÄ
    Die AkdÄ trägt anhand von typischen Fallbeispielen vor, welche Rückfragen zu Nebenwirkungsmeldungen die Arzneimittelhersteller über die AkdÄ an die meldenden Ärzte stellen. Einige Beispiele zeigen, dass die Beantwortung mit einem erheblichen Aufwand für die meldenden Ärzte verbunden sein kann. Um den Arbeitsaufwand für den Meldenden so weit wie möglich zu begrenzen und die Meldebereitschaft aufrecht zu erhalten, ist es aus Sicht der AkdÄ u. a. wünschenswert, wenn sich die Rückfragen auf den direkten Zusammenhang mit der gemeldeten UAW beschränken und Fragebögen mit bereits vorliegenden Informationen so weit wie möglich von den Herstellern vorausgefüllt werden. Auf die Guideline zur guten Pharmakovigilanzpraxis (GVP), Modul VI, wird verwiesen. Bei den pharmazeutischen Unternehmen sollte geprüft werden, ob mit den Arbeitsanweisungen (SOPs) zu Follow-up reports möglicherweise entsprechend differenzierter umgegangen werden kann. In der Diskussion ergänzt das BfArM, dass es die Kontaktaufnahme zwischen der Meldequelle und einem anfragenden pharmazeutischen Unternehmer durch entsprechende schriftliche Nachfrage unter Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben unterstützt.

TOP 5 Verschiedenes

  1. Bericht vom Erfahrungsaustausch mit PEI/BfArM zu den Anforderungen an Parallelimporteure
    Das PEI informiert über die Tagesordnung der Veranstaltung PEI/BfArM im Dialog zum Parallelhandel mit Arzneimitteln, die am 13. November 2015 im PEI stattfand.
  2. Stand der Diskussion zur Kennzeichnung von Schulungsmaterial
    Das BfArM berichtet den Zwischenstand hinsichtlich der geplanten Kennzeichnung von Schulungsmaterial mit einem auffälligen Symbol analog der Roten Hand für die Rote-Hand-Briefe an Ärzte und Apotheker.
  3. Künftiger elektronischer Versand der Einladung zur Routinesitzung
    Die Sitzungsteilnehmer erklären sich damit einverstanden, dass die Einladungen zur Routinesitzung künftig per E-Mail an die von der Institution benannte Adresse versandt werden.
  4. Termin nächste Routinesitzung
    Als Termin für die nächste Routinesitzung wird der 26. April 2016 festgelegt.

Der Vorsitzende

Anlagen