BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

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72. Sitzung (01. Juli 2014) – Ergebnisprotokoll

Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG

Ort:
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Bonn

Teilnehmende:
Der Vorsitzende
Die Sachverständigen des Ausschusses für Verschreibungspflicht
Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG)
Vertreter des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
Vertreter des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)
Vertreter des BfArM

Hinweis:
Der Ausschuss unabhängiger Sachverständiger nach § 53 Absatz 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG) berät das BMG und das BMEL im Hinblick auf Fragen zur Verschreibungspflicht von Arzneimitteln und gibt hierzu fachliche Empfehlungen ab. Mit diesen Ausschussempfehlungen wird der - in jedem Einzelfall erforderlichen - Entscheidung des jeweils zuständigen Bundesministeriums nicht vorgegriffen. Änderungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung erfolgen durch Rechtsverordnung des BMG bzw. des BMEL; diese Verordnungen bedürfen grundsätzlich der Zustimmung des Bundesrates.

Tagesordnung:

TOP 1 Eröffnung der Sitzung

Der Vorsitzende begrüßt die Anwesenden und stellt die Beschlussfähigkeit des Gremiums fest. Es wird festgestellt, dass bei keinem anwesenden Mitglied bezüglich eines zur Verhandlung anstehenden Antrags ein Interessenskonflikt besteht. Es folgen verschiedene verfahrenstechnische Hinweise.
Die 73. Sitzung wird am 13.01.2015, die 74. Sitzung am 30.06.2015 stattfinden.

TOP 2 Annahme der Tagesordnung

TOP 4 wird vorgezogen, die Tagesordnung wird angenommen.

TOP 3 Rechtliche Rahmenbedingungen der Entlassung aus der Verschreibungspflicht

Ein Vertreter des BfArM stellt die Thematik und die Konsequenzen für die künftige Bewertungsgrundlage der Sachverständigen vor.

Auf eine entsprechende Frage hin wird geklärt, dass Angaben auf der Verpackung national geregelt werden können.
Es wird festgestellt, der Bundesrat habe mit der Ergänzung der Position Racecadotril um Vorschriften für die Inhalte der Produktinformationen und seiner jüngsten Ablehnung solcher Ergänzungen zu Sumatriptan und Zolmitriptan inkonsistente Entscheidungen getroffen. Die Rücknahme der betreffenden Ergänzungen in der Position Racecadotril aus diesen formalen Gründen wird jedoch seitens der Vertreter des BMG als nicht sinnvoll angesehen. Unabhängig davon sei es wichtig, dass sich die Entscheidungsfindung der Ausschussmitglieder künftig an den hier vorgestellten klaren Regeln orientiert.

TOP 4 Geschäftsordnung des Ausschusses

Ein Vertreter des BfArM informiert darüber, dass der Entwurf der neuen Geschäftsordnung als Tischvorlage verteilt und kurz vor der Sitzung auch elektronisch an alle Mitglieder und Stellvertreter versendet wurde. Für die Mitglieder besteht die Möglichkeit zur Kommentierung im schriftlichen Verfahren. Die Kommentierungsfrist endet am 15.08.2014. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Namen der Sachverständigen künftig nicht mehr vertraulich behandelt werden sollen. So werden künftig in der Niederschrift die Namen der Sitzungsteilnehmer genannt und auf der Homepage des BfArM soll, nach einem Vorschlag des BMG, dauerhaft eine Liste mit den Namen der Mitglieder und Stellvertreter des Sachverständigenausschusses einer Berufungsperiode publiziert werden. Die Dokumentation des Sitzungsverlaufs im Protokoll werde jedoch auch weiterhin anonymisiert erfolgen.

TOP 5 Fluticason und seine Ester

Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG für
Fluticason und seine Ester
- ausgenommen Fluticasonpropionat zur intranasalen Anwendung zur Prophylaxe und Behandlung der allergischen Rhinitis in Packungsgrößen bis zu 3,0 mg Fluticasonpropionat, sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen angegeben ist, dass die Anwendung auf Erwachsene beschränkt ist -

Ein externer Sachverständiger trägt vor.

Anschließend beantwortet er an ihn gerichtete Fragen.
Auf die Frage nach einem Gewöhnungseffekt antwortet der externe Sachverständige, es gäbe keine epidemiologischen Daten oder Vergleichsstudien, doch würden Patienten erfahrungsgemäß berichten, dass sie fluticasonhaltiges Nasenspray jederzeit ohne ein Rebound-Phänomen absetzen können.

Auf entsprechende Nachfrage antwortet der externe Sachverständige, nach der ARIA-Guideline werde nicht mehr zwischen saisonaler und perennialer Rhinitis unterschieden. Mit der Beantragung der Entlassung aus der Verschreibungspflicht für die allergische Rhinitis insgesamt entspräche der Firmenantrag daher dem aktuellen State of the Art. Es würde nur nach der Dauer und dem Schweregrad der Beschwerden vorgegangen. Auf die Frage nach der Eignung des beantragten Präparats für die Dauermedikation antwortet der externe Sachverständige, es sei eine maximale Anwendungsdauer von 3 Monaten beantragt worden. Nach Rückfrage wird diese Aussage dahingehend modifiziert, dass die beantragte Packung für ca. 15 Tage ausreiche, aber die in der Packungsbeilage empfohlene Anwendungsdauer 3 Monate betrage.
Auf Grund von verschiedenen Nachfragen von Sachverständigen wird herausgearbeitet, dass die typische Glukokortikoidwirkung aus zwei Komponenten besteht. So wirke Fluticason in der frühen Phase antiallergisch durch die Blockade von Histamin, aber auch in der späten allergischen Phase.
Ein Sachverständiger bittet um Beantwortung der Frage, wie die klinische Wirkung innerhalb weniger Stunden nach Erstanwendung aussähe und welche Daten es dazu gäbe. Der externe Sachverständige antwortet, die Patienten würden nach den ersten 12 Stunden eine Verbesserung der Nasensymptome verspüren.
Eine letzte Nachfrage betrifft die vorgestellten Daten zu Nebenwirkungsberichten. Die Zahlen stammen nach Angaben des externen Sachverständigen sowohl aus Einzelfallberichten als auch aus Studien. Der externe Sachverständige verlässt den Raum.

Ein Vertreter des BfArM leitet die Diskussion mit einer Zusammenfassung der BfArM-Stellungnahme ein.

Auf die Frage nach der klinischen Relevanz von Interaktionen mit Inhibitoren von Cytochrom P450 antwortet der Vertreter des BfArM, die betreffende pharmakokinetische Untersuchung an gesunden Probanden, die auch in den Produktinformationen beschrieben sei, belege einen erheblichen Anstieg der Kortikoidspiegel. Da erhöhte Kortikoidspiegel zu den bekannten systemischen Nebenwirkungen führten, sei die klinische Relevanz gegeben. Bei einer sehr kurzen Anwendung sei das Risiko für den Patienten vermutlich eher gering, aber beantragt worden sei die Entlassung aus der Verschreibungspflicht auch für die perenniale Rhinitis, d.h. für eine dauerhafte Erkrankung. Bereits die Dauer der Behandlung einer nur saisonalen Rhinitis ginge aber über die beantragte Packungsreichweite von 7-14 Tagen deutlich hinaus. Die umfassende Bewertung der EMA zu psychiatrischen Nebenwirkungen von nasal angewendeten Steroiden mündete darin, dass eine Reihe von Nebenwirkungen in die Produktinformationen der betroffenen Arzneimittel aufgenommen werden musste. Auch solche systematischen Bewertungen aller vorliegenden Daten würden deren klinische Relevanz belegen.

Ein Sachverständiger äußert, Patienten mit einer saisonalen Rhinitis wüssten sehr genau, wann sie solch ein Arzneimittel anwenden müssten, es gäbe auch die Pollenflugkalender. Außerdem sei Fluticason, verglichen mit Beclometason, der bessere Wirkstoff.
Ein Vertreter des BfArM antwortet, das BfArM wolle keinen Patienten bevormunden. Es ginge vielmehr um die Gestaltung des Portfolios an stark wirksamen Wirkstoffen, die aufgrund ihres Potenzials für erwünschte und unerwünschte Wirkungen in der Hand des Arztes verbleiben sollten, zumal therapeutische Alternativen in der Selbstmedikation verfügbar seien.

Auf die entsprechende Frage eines Sachverständigen bestätigt ein Vertreter des BfArM, dass die aus der systemischen Anwendung von Steroiden bekannten Nebenwirkungen auch bei nasaler Anwendung von Steroiden beobachtet worden seien. Für europäische Pharmakovigilanzverfahren würden alle aus Europa berichteten Nebenwirkungsfälle ausgewertet sowie sonstige publizierte Daten einbezogen. Das Nebenwirkungsrisiko sei deutlich geringer als nach systemischer Anwendung. Bei der Bewertung aller Daten müsse jedoch berücksichtigt werden, dass sie unter den Bedingungen der Verschreibungspflicht und damit unter ärztlicher Kontrolle sowie mutmaßlicher Einhaltung von Kontraindikationen bzw. Beachtung von Interaktionen erhoben wurden.

Ein Sachverständiger erkundigt sich nach der Quelle für die vom BfArM zitierte pharmakokinetische Studie zur Interaktion mit Ritonavir und nach vergleichenden Häufigkeitsdaten zu den Nebenwirkungen der nasalen Steroide Beclometason und Fluticason, also vor und nach der Entlassung von Beclometason aus der Verschreibungspflicht 1997. Aus seiner Sicht sei Fluticason die bessere, weil aufgrund der niedrigen systemischen Verfügbarkeit sicherere Substanz. Ein Vertreter des BfArM informiert darüber, dass es sich um eine Zulassungsstudie handelt, deren Ergebnisse Bestandteil der Produktinformationen betreffender Arzneimittel sind. Für die Frage der Entlassung aus der Verschreibungspflicht entscheidend sei, dass die Kombination mit Stoffen wie Ritonavir und Azol-Antimykotika durch die erhöhten Steroidspiegel zu Nebenwirkungen führen könnten. Aus der Anzahl spontan gemeldeter Nebenwirkungen könnten keine seriösen Häufigkeitsangaben abgeleitet werden und aus publizierten Studien seien keine Daten verfügbar, die über in Fach- und Gebrauchsinformationen bereits enthaltene Informationen hinausgehen. Ein Vergleich der Häufigkeiten von Nebenwirkungen verschiedener Wirkstoffe sei aber überhaupt nur dann zulässig, wenn es sich um den Vergleich klinischer Studien handele. Die Beobachtung der Anwendungssicherheit nach einer Entlassung aus der Verschreibungspflicht könne nur durch systematische Untersuchungen erfolgen, denn aus der Entwicklung der Anzahl von Nebenwirkungsmeldungen könnten keine Rückschlüsse gezogen werden. Apothekenpflichtige Arzneimittel würden vom Patienten als sicher angesehen. Aus dieser Wahrnehmung heraus würde die ursächliche Verbindung zwischen einem beobachteten Symptom und der Anwendung eines in der Selbstmedikation erworbenen Arzneimittels seltener hergestellt.
Wichtig sei aus seiner Sicht die Frage, ob zur Behandlung einer chronischen Systemerkrankung ein weiteres Steroid in der Selbstmedikation verfügbar sein soll, das nicht zur Kurzzeittherapie geeignet sei und das vor allem bei Nichtbeachtung von Kontraindikationen und Wechselwirkungen zu systemischen Steroidwirkungen führen könne.

Ein anderer Sachverständiger informiert darüber, dass nach der Anwendung steroidhaltiger Augensalben beim Pferd systemische Konzentrationen gemessen werden, die trotz des hohen Verteilungsvolumens beim Pferd ausreichen, um systemische endokrine Wirkungen auszulösen. Unabhängig von der Häufigkeit klinisch relevanter Nebenwirkungen hielte er es für falsch, Kortikosteroide in die Selbstmedikation zu entlassen.
Ein Sachverständiger hält diese Untersuchungen für mit dem Menschen nicht vergleichbar und fragt erneut nach dem Beleg für die Interaktionsstudie, die er in der Fachinformation nicht finden könne. Der Vertreter des BfArM bestätigt nochmals, dass diese Interaktionsstudie in den Produktinformationen enthalten ist (redaktionelle Anmerkung des BfArM: siehe Fachinformationen Flutide® Nasal, Flutica-Teva® 50 µg Nasenspray, Abschnitt 4.5: „Eine Studie an gesunden Probanden zur Untersuchung von Wechselwirkungen hat gezeigt, dass durch die Anwendung von Ritonavir (ein starker Cytochrom P450 3A4 Inhibitor) die Plasmakonzentrationen von Fluticasonpropionat stark ansteigen können, was sich in deutlich verringerten Serumkortisolspiegeln äußert. Während der Anwendung nach Markteinführung gab es Berichte zu klinisch signifikanten Wechselwirkungen bei Patienten, die gleichzeitig Fluticasonpropionat und Ritonavir erhielten. Diese resultierten in systemischen Kortikoidwirkungen einschließlich Cushing-Syndrom und Nebennierenrindensuppression.“).

Ein Sachverständiger erläutert, die bei wissenschaftlichen Untersuchungen am Pferd gewonnenen Daten ließen, wie die aus anderen Tierversuchen, sehr wohl Rückschlüsse auf die Verhältnisse bei Menschen zu. Nach seinen im Ausschuss gewonnenen Erfahrungen müsse nach einer Entlassung von Fluticason nasal in die Selbstmedikation befürchtet werden, dass in der Folge eine Vielzahl anderer steroidhaltiger Topika wie Augensalben folgten. Aus seiner Sicht gehörten aber Steroide grundsätzlich in die Hand des Arztes.

Aus Sicht eines Sachverständigen spielt die Unterscheidung zwischen saisonaler und perennialer Rhinitis für die Beratungssituation in der Apotheke keine Rolle.

Es wird aus Sicht eines weiteren Sachverständigen suggeriert, dieser Wirkstoff sei vergleichsweise wirksamer. Es sei unverständlich, wenn nun eine Substanz zur Behandlung einer dauerhaften Erkrankung in die Selbstmedikation entlassen würde, die ihre volle Wirkung erst nach einigen Tagen entfalte. Anhand der Darstellung der von der ARIA-Guideline ausdrücklich empfohlenen Behandlungskaskade sei doch sichtbar geworden, dass diese nach einer Entlassung von Fluticason aus der Verschreibungspflicht in der Apotheke nicht mehr eingehalten würde.

Hinsichtlich der unterschiedlichen Zeitangaben zum Wirkungseintritt erläutert ein Sachverständiger, dass Steroide in einer ersten Phase durch eine Histaminblockade ebenso wirken wie Antihistaminika der zweiten Generation und Azelastin. Das Besondere an den Kortikosteroiden sei, dass diese nach etwa 12 Stunden einsetzende Wirkung nach einer weiteren Phase konstanter Anwendung durch eine zusätzliche antientzündliche Wirkung ergänzt werde.

Auf eine entsprechende Frage antwortet ein Sachverständiger, Steroide wie Beclometason seien Reservesubstanzen, die bei akuten Beschwerden primär nicht empfohlen würden.

Aus Sicht eines weiteren Sachverständigen seien die Wirkungen und Nebenwirkungen von Fluticason gut untersucht. Er kenne eine jüngere Publikation aus 2012, in der negative Auswirkungen auf den endogenen Kortisolstoffwechsel nicht gefunden worden seien. Er hielte es für möglich, dass es sich bei den im europäischen Pharmakovigilanzverfahren bewerteten Nebenwirkungsfällen nicht um Nebenwirkungen, sondern um eine rein zeitliche Koinzidenz handele. Daher sehe er kein Risiko und befürworte den Antrag.

Abstimmung:
Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt mehrheitlich

Fluticason und seine Ester
- Fluticasonpropionat zur intranasalen Anwendung zur Prophylaxe und Behandlung der allergischen Rhinitis in Packungsgrößen bis zu 3,0 mg Fluticasonpropionat, sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen angegeben ist, dass die Anwendung auf Erwachsene beschränkt ist

aus der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG zu entlassen.

TOP 6 Racecadotril

Antrag auf ergänzende Entlassung aus der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG für
Racecadotril
- bei Kindern ab 5 Jahren und Jugendlichen gemeinsam mit oraler Rehydratation in Konzentrationen von 30 mg je abgeteilter Form und in einer Gesamtmenge von bis zu 540 mg je Packung für eine maximale Anwendungsdauer von drei Tagen -

Ein externer Sachverständiger trägt vor.

Anschließend beantwortet er an ihn gerichtete Fragen.

Nach Ansicht eines Sachverständigen spräche der vom externen Sachverständigen vorgestellte klinikinterne Algorithmus nicht für eine Entlassung von Racecadotril aus der Verschreibungspflicht. Er erkundigt sich daher, welche negativen Folgen auftreten könnten.
Der externe Sachverständige hält die aus England stammenden Untersuchungsergebnisse auf die Verhältnisse in Deutschland für übertragbar, wonach Eltern ein schulpflichtiges Kind mit Diarrhoe nur selten beim Kinderarzt vorstellen. Die Eltern würden sich in der Apotheke mit einem Arzneimittel versorgen und das Kind zuhause betreuen. Es sei eine Risikominderung, wenn der Durchfall eines Kindes während einer Reise bereits einen Tag früher als ohne Behandlung beendet sei.
Der Sachverständige wiederholt seine Frage nach den Folgen, wenn die bisherige ärztliche Beratung und Versorgung in der Klinikambulanz künftig entfiele, da die Eltern das betreffende Arzneimittel bereits in der Apotheke erhalten könnten.

Der externe Sachverständige führt aus, dass Kinder ab fünf Jahren bei Durchfall in der Regel nicht dem Kinderarzt vorgestellt würden. Die Eltern würden dann die Behandlung nach dem vorgestellten Algorithmus zuhause durchführen und dies sei als Behandlungsvorteil zu werten. Außerdem würden Kinderärzte es wegen der Ansteckungsgefahr für jüngere Kinder als Vorteil ansehen, wenn in ihren Wartezimmern keine älteren Kinder mit Durchfall mehr warten müssten.

Ein weiterer Sachverständiger äußert, der vorgestellte Algorithmus spräche gegen die beabsichtigte Entlassung von Racecadotril aus der Verschreibungspflicht, da dieser die Erstdiagnose durch den Arzt voraussetze. Außerdem habe man den inzwischen umgesetzten Antrag der Firma zur Entlassung von Racecadotril für Erwachsene aus der Verschreibungspflicht intensiv diskutiert und es sei in der betreffenden Sitzung vom damaligen externen Sachverständigen immer wieder betont worden, der Antragsteller wolle ganz bewusst die Verschreibungspflicht für Kinder bestehen lassen. Nun solle dies nicht mehr gelten, und die Freistellung würde gleich auch für junge Kinder ab 5 Jahre beantragt. Er erkundige sich daher nach neuen und verlässlichen Daten, die für gerade diese und gegen eine andere Altersgrenze sprächen.

Für den externen Sachverständigen beruht die Altersgrenze auf den britischen Daten, wonach Kinder ab 5 Jahre nur noch in Ausnahmefällen überhaupt dem Arzt vorgestellt würden. Dies würde sich mit den Erfahrungen in der Notfallambulanz decken, in der fast keine Kinder über fünf Jahren vorgestellt würden. Der Behandlungsalgorithmus gelte nur für Säuglinge und jüngere Kinder.

Auf eine entsprechende Nachfrage bestätigt der externe Sachverständige, dass die Verordnung von Racecadotril nach einer Bewertung durch den G-BA für Kinder und Erwachsene bereits seit einigen Jahren nicht mehr erstattungsfähig sei (redaktionelle Anmerkung: Beschluss des G-BA vom 17.06.2010, wonach die Belege für den Nutzen als nicht ausreichend angesehen werden, die Verordnung der Kinderärzte erfolgt seither auf Privat- oder dem „Grünen Rezept“. Quelle: https://www.g-ba.de/downloads/40-268-1376/2010-06-17_AM-RL3_Antidiarrhoika_ZD.pdf).

Auf die entsprechende Frage eines Sachverständigen nach den Gründen für die Altersgrenze von fünf Jahren antwortet der externe Sachverständige, die Sicherheitsdaten für Racecadotril seien erheblich besser als die von Loperamid. Es sei ein großer Vorteil, wenn man auch für ein fünfjähriges Kind Racecadotril in der Reiseapotheke mitnehmen könne. Orale Rehydratationslösungen seien zwar wichtig, könnten aber die Dauer der Diarrhoe nicht verkürzen.

Ein Sachverständiger weist darauf hin, in den vorgelegten Metaanalysen fehlten sicherheitsrelevante Endpunkte zu Nebenwirkungen und Toxizität. Dies sei aber gerade bei diesem Wirkstoff deswegen wichtig, weil die unerwünschten Wirkungen von den Symptomen der zu behandelnden Grunderkrankungen abgegrenzt werden müssten. Im Vergleich zu Placebo gäbe es sogar zwei Metaanalysen mit der Aussage, dass die Untersuchungen statistisch gepowert waren für den Nachweis der Wirksamkeit, dass jedoch die Anzahl der eingeschlossenen Patienten jeweils zu gering für eine abschließende Beurteilung der Sicherheitsdaten war. Außerdem würde man in den größeren Studien auch zu wenig darüber finden, dass sicherheitsrelevante Informationen überhaupt abgefragt worden seien. Daher sei die Frage offen, ob die Sicherheit des Arzneimittels ohne die ärztliche Verordnung gewährleistet sei.

Der externe Sachverständige antwortet darauf, dass man in der Tat aus den Zulassungsstudien keine Informationen über seltene unerwünschte Ereignisse gewinnen könne, dies sei aber die Regel und auch nicht zu erwarten.
Der externe Sachverständige verlässt den Raum.

Ein Vertreter des BfArM leitet die Diskussion mit einer Zusammenfassung der BfArM-Stellungnahme ein.

Auf die Frage eines Sachverständigen nach einer Streichung der Anforderungen an die Produktinformationen, die seit der Ergänzung durch den Bundesrat in der Position zu Racecadotril enthalten sind, antwortet ein Vertreter des BMG, dies sei ohne eine vollständige Rück-Unterstellung von Racecadotril unter die Verschreibungspflicht nicht denkbar.

Nach Ansicht eines Sachverständigen belegt die vom externen Sachverständigen vorgestellte Untersuchung, dass Eltern bereits heute statt zum Kinderarzt zum Apotheker gingen. Dort würden ihnen wenig wirksame therapeutische Alternativen angeboten. Es sei daher sehr begrüßenswert, dass nun mit Racecadotril eine wirksame medikamentöse Behandlung zur Verfügung stünde. Er sei sich daher nicht sicher, ob die Argumentation des BfArM stimmig sei.

Nach Ansicht des Vertreters des BfArM besteht Konsens, dass die auf Racecadotril ansprechende Diarrhoe eine auch ohne Racecadotril selbst limitierende Erkrankung darstelle, deren wichtigste Behandlungsmaßnahme in der ausreichenden Gabe von Flüssigkeit bestünde. In dieser Situation könne die Gabe von Racecadotril die Dauer der Diarrhoe um etwa einen Tag verkürzen. Dies sei mit der medikamentösen Behandlung zum Beispiel einer Infektion durch ein Antibiotikum, wo ein echter therapeutischer Bedarf bestehe, nicht vergleichbar. Außerdem seien die Ergebnisse der britischen Untersuchung nicht auf die Verhältnisse in Deutschland übertragbar. Die Argumentation des externen Sachverständigen, wonach die Selbstmedikation mit Racecadotril für jüngere Kinder Vorteile hätte, weil sie die Rate gegenseitiger Ansteckung reduziere, sei schwer nachvollziehbar. Die Bedenken des BfArM richteten sich ja gerade darauf, dass in Zeiten eines erhöhten Drucks auf Eltern, den reibungslosen Alltagsablauf mit ihrem eigenen Erscheinen am Arbeitsplatz und geringen Fehlzeiten der Kinder in der Schule zu gewährleisten, durch die Entlassung von Racecadotril aus der Verschreibungspflicht ein falsches Signal gesendet würde. Dies könne so verstanden werden, dass zeitaufwändige Flüssigkeitsaufnahme und Betreuung im häuslichen Umfeld durch die einfache Gabe eines Arzneimittels ersetzt werden können.

Ein Sachverständiger stellt fest, die Daten aus Großbritannien seien unter anderem wegen der unterschiedlichen Gesundheitssysteme grundsätzlich nicht auf Deutschland übertragbar. Er erkundigt sich nach der Rationale für den Vorschlag des BfArM, die Altersgrenze bei zwölf Jahren anzusetzen.

Ein Vertreter des BfArM erläutert, man habe sich an der für Loperamid als sicher angesehenen Altersgrenze orientiert unter dem Gesichtspunkt einer für Eltern und Apotheker einheitlichen Altersgrenze von Antidiarrhoika in der Selbstmedikation. Für Loperamid sei diese Grenze von 12 Jahren wegen seiner zentralnervösen Wirkungen bzw. Nebenwirkungen gezogen worden. Bekanntlich seien für Racecadotril zentralnervöse Nebenwirkungen nicht beschrieben. Weil für Racecadotril die Begrenzung der Reichweite einer Packung mit der beantragten Menge von 540 mg im Vordergrund der Sicherheitsbedenken stünde, komme es entscheidend auf das Körpergewicht des Kindes an, und auch unter diesem Aspekt sei diese Altersgrenze angemessen.

Ein Sachverständiger stellt fest, seine Fragen an den externen Sachverständigen nach den Konsequenzen einer Verlagerung des vorgestellten Algorithmus in die elterliche Versorgung seien unbeantwortet geblieben. Er sei der Meinung, dass diese Triage weiter erforderlich sei. Bei falscher oder unzureichender Behandlung seien gerade bei jüngeren Kindern mit kleinerem Verteilungsvolumen Todesfälle möglich. Man müsse in diesem Zusammenhang auch die steigende Zahl von Migranten berücksichtigen. Die Möglichkeiten der Apotheker hinsichtlich einer Beratung seien letztlich begrenzt. Er erinnere in diesem Zusammenhang an die EHEC-Epidemie. Bei einer ausgedehnten Selbstmedikation aus der Apotheke wären viele Fälle erst zu spät erkannt worden.

Ein Sachverständiger ist der Ansicht, es käme ab einem Alter von fünf Jahren nicht mehr zu einer schweren Dehydratation und er unterstütze aus diesem Grund den Firmenantrag. Man habe zwar vor der Herausnahme von Racecadotril aus der Erstattungsfähigkeit nur kurze Erfahrungen damit sammeln können, doch solle man die Wirksamkeit des Racecadotril nicht überschätzen. Es könne auf keinen Fall die orale Rehydratation ersetzen. Aus seiner Sicht sei eine Behandlungsdauer auch von fünf Tagen kein Problem. Trotz fehlender Erkenntnisse zur Langzeitwirkung sei er davon überzeugt, dass das Arzneimittel auch in der Selbstmedikation für die jüngeren Kinder seinen Platz habe.

Ein Vertreter des BfArM antwortet, gerade die Erkenntnis, dass Racecadotril die Rehydratation nicht ersetze, stütze den Ansatz des BfArM. Denn der Wegfall des Arztes als Kontrollinstanz und Informationsquelle könne dazu führen, dass die notwendige Rehydratation zu Gunsten der einfachen Arzneimittelgabe vernachlässigt würde, wenn die individuelle Beratung auf eine Erwähnung der Flüssigkeitssubstitution in der Packungsbeilage reduziert würde.

Ein Sachverständiger informiert, auf die Packung könnten Hinweise auf die Anwendungsdauer von 3 Tagen und die Flüssigkeitssubstitution aufgedruckt werden. Ein Vertreter des BfArM informiert darüber, dass solche Aufdrucke vom BfArM nicht verbindlich festgelegt werden können und daher für die Beurteilung eines Antrags nicht maßgeblich sind.

Ein anderer Sachverständiger stellt die Frage, ob man den vorliegenden Antrag abwandeln und die Altersgrenze für die Selbstmedikation durch eine Begrenzung des Körpergewichts ersetzen könne.

Ein Vertreter des BfArM informiert, dass eine Abänderung des Antrags grundsätzlich möglich sei, dass aber der Informationsstand aller anwesenden Sachverständigen für die Beurteilung eines abgewandelten Antrags ausreichen müsse. Es stelle sich unter anderem die Frage, ob die Grenze des Körpergewichts genauso eingehalten werden könne wie die Altersgrenze.

Ein weiterer Sachverständiger erinnert daran, dass die Dauer der Diarrhoe nach den klinischen Studien durch die Gabe von Racecadotril lediglich um einen Tag verkürzt werden könne, während die orale Rehydratation der unverzichtbare Behandlungsansatz bleibe. Man habe in Deutschland noch sehr wenig Erfahrung mit diesem Wirkstoff in der ambulanten Behandlung und bisher nur den Eindruck einer guten Verträglichkeit. Bei näherer Betrachtung jedoch fehlten valide Daten zur Sicherheit. Dies sei so lange kein Problem, wie die Anwendung in einem kontrollierten Setting geschähe. Aus diesen Gründen sei der Vorschlag des BfArM ein logischer Kompromiss.

Ein Sachverständiger ist der Ansicht, dass ein neuer Antrag vorgelegt werden sollte, ein anderer hält die Gewichtsgrenze im Apothekenalltag nicht für praktikabel. Auf eine entsprechende Frage antwortet ein Vertreter des BfArM, dass auch im Bereich der Zulassung von Humanarzneimitteln die Altersbegrenzung üblich sei.

Ein anderer Sachverständiger plädiert für die Beibehaltung der Altersgrenze und unterstützt den Kompromissvorschlag des BfArM.

Dagegen führt ein Sachverständiger aus, dass er die Dosierungsempfehlungen für ältere Kinder bzw. Jugendliche nicht für schlüssig hielte und daher beiden Anträgen nicht zustimmen könne.
Ein weiterer Sachverständiger führt aus, dass nach den Angaben der Fachinformation die Dosierung von Racecadotril 1,5 mg pro Kilogramm Körpergewicht betrage. Ab zwölf Jahren betrage die Dosierung zwei Beutel dreimal täglich, dies seien 60 mg als Einmaldosis. Dies entspräche, 1,5 mg/Kilogramm zu Grunde gelegt, einer Dosierung für 40 kg Körpergewicht.

Daraufhin erläutert ein Vertreter des BfArM, das aus seiner Sicht bestehende Problem des Antrags sei, dass die Dosierungsangaben in der Packungsbeilage und die Gewichtsverteilung der Kinder in den zur Freistellung beantragten Altersgruppen nicht zusammen passen.

Ein Sachverständiger schlägt vor, über den Firmenantrag abzustimmen und es im Fall einer Ablehnung dem Antragsteller zu überlassen, einen verbesserten Antrag zu stellen. Ein Vertreter des BfArM ergänzt, dass der Vorschlag des BfArM einen Versuch darstelle, die Inkonsistenzen des Antrags auszugleichen.

Ein Sachverständiger plädiert für den Vorschlag des BfArM, ein anderer macht darauf aufmerksam, dass in Einzelfällen ein zwölfjähriges Kind 40 kg schwer sein könne, dass dies aber nicht die Regel sei (redaktionelle Anmerkung: im Alter von zwölf Jahren sind 75% der Jungen und 90% der Mädchen schwerer als 40 kg).

Der Vorsitzende sieht eine Evidenz weder für die Begrenzung nach Alter noch nach Körpergewicht und schlägt daher vor, zuerst über den Firmenantrag, da am weitesten gehend, und anschließend über den modifizierten Vorschlag des BfArM abzustimmen.

Abstimmung:

Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt einstimmig, den Antrag auf ergänzende Entlassung von

Racecadotril
bei Kindern ab 5 Jahren und Jugendlichen gemeinsam mit oraler Rehydratation in Konzentrationen von 30 mg je abgeteilter Form und in einer Gesamtmenge von bis zu 540 mg je Packung für eine maximale Anwendungsdauer von drei Tagen-

aus der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG abzulehnen.

Außerdem empfiehlt der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht einstimmig, auch den BfArM-Vorschlag

Racecadotril
für Kinder ab dem vollendeten 12. Lebensjahr in Konzentrationen von 30 mg je abgeteilter Form zur Herstellung einer Suspension und in einer Gesamtmenge von bis zu 540 mg je Packung, sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen angegeben ist, dass die Anwendung auf Erwachsene und Kinder ab dem vollendeten 12. Lebensjahr beschränkt ist

abzulehnen.

TOP 7 Famciclovir

Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG für
Famciclovir
- ausgenommen zur oralen Behandlung von rezidivierenden Episoden eines Herpes labialis bei immunkompetenten Erwachsenen mit einer Einmaldosis von 1500 mg und einer darauf begrenzten Packungsgröße -

Ein externer Sachverständiger trägt vor.

Anschließend beantwortet er an ihn gerichtete Fragen.
Er bestätigt auf Nachfrage, dass in Neuseeland lediglich ein Arzneimittel zur hoch dosierten Einmalbehandlung von rezidivierendem Herpes labialis zugelassen und in der Selbstmedikation verfügbar ist.

Ein Sachverständiger erkundigt sich, ob Erfahrungen mit den Folgen einer wiederholten Einnahme hoher Dosen bei Patienten mit Niereninsuffizienz bestehen. Darauf antwortet der externe Sachverständige, der Apotheker würde Patienten mit einer Nierenfunktionsstörung an ihren Arzt verweisen. Bei bestehender Niereninsuffizienz käme es zur Akkumulation des Wirkstoffs und die Erfahrungen seien sehr begrenzt. Apotheker seien in der Beratung von Patienten mit Niereninsuffizienz erfahren, denn es gäbe eine Reihe von Arzneimitteln, deren Dosis bei Niereninsuffizienz reduziert werden müsse. Der Sachverständige antwortet, dass der Apotheker in Deutschland nur durch den Patienten selbst von einer Nierenfunktionsstörung erfahren könne, und dafür müsse diese ihm bekannt sein.
Der externe Sachverständige verlässt den Raum.

Ein Vertreter des BfArM leitet die Diskussion mit einer Zusammenfassung der BfArM-Stellungnahme ein.

Ein Sachverständiger erkundigt sich nach den Haftungsfolgen für Apotheker, wenn diese in der vom Antragsteller vorgeschlagenen Weise in der Selbstmedikation die Patientenselektion vornähmen, die bis dahin Aufgabe des Arztes gewesen sei. Nach Auskunft eines anderen Sachverständigen seien Umfang und Grenzen der Beratungspflicht in der Apothekenbetriebsordnung verbindlich geregelt. Dies sei die rechtliche, auch haftungsrechtliche Grundlage der Tätigkeit des Apothekers. Diese Grundlage werde durch Aktivitäten von pharmazeutischen Unternehmern wie Anschreiben, Schulungsmaterialien oder Schulungen vor Ort nicht verändert.

Ein Sachverständiger ist der Ansicht, das Vorhaben zur Delegation der Patientenselektion vom Arzt an den Apotheker ginge an der Realität vorbei. Patienten wüssten in der Regel wenig bis nichts über eine Nierenfunktionsstörung, und selbst vielen Ärzten sei die Bedeutung einer entsprechenden Diagnostik nicht ausreichend bewusst. Er könne sich auch nicht vorstellen, dass diese Gegebenheiten in Neuseeland grundsätzlich anders seien. Er unterstütze daher nachdrücklich den Vorschlag des BfArM an den Antragsteller, nach Markteinführung eines entsprechenden verschreibungspflichtigen Arzneimittels mindestens drei Jahre lang Erfahrungen und die für einen erneuten Antrag unbedingt erforderlichen Daten zu sammeln.

Auch ein weiterer Sachverständiger sieht in der Gruppe der Patienten mit Niereninsuffizienz eines der Kernprobleme einer Freistellung von Famciclovir. Es sei sehr fraglich, inwieweit man dem Apotheker die Verantwortung für eine ausreichende Selektion bestimmter Patienten übertragen könne. Man habe es außerdem bei Famciclovir mit dosisabhängigen und schwerwiegenden Nebenwirkungen zu tun.

Nach Meinung eines weiteren Sachverständigen ist ein Herpesrezidiv kein medizinischer Notfall. Aus seiner Sicht sei der Antrag insgesamt absurd.

Nachdem der Vorsitzende diesbezüglich unter den Sachverständigen Einigkeit feststellt und keine weiteren Wortmeldungen erfolgen, wird über den Antrag abgestimmt.

Abstimmung:

Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt einstimmig, den Antrag auf Entlassung von

Famciclovir
zur oralen Behandlung von rezidivierenden Episoden eines Herpes labialis bei immunkompetenten Erwachsenen mit einer Einmaldosis von 1500 mg und einer darauf begrenzten Packungsgröße

aus der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG abzulehnen.

TOP 8 Praziquantel

Antrag auf Rücknahme der Freistellung
a) bei Hunden und Katzen
b) bei Zierfischen der Ordnung Karpfenartige, Barschartige, Welsartige und Zahnkärpflinge mit einem Wirkstoffgehalt bis zu 20 g je Packung

Ein Vertreter des BVL leitet die Diskussion mit einer Zusammenfassung der Stellungnahme des BVL zur Behandlung von Hunden und Katzen ein (s. Anlage 1), gefolgt von der Präsentation eines Sachverständigen.

Nach Ansicht eines Sachverständigen sollte die Aufklärung über Parasitosen verbessert werden, zumal die Häufigkeit dieser Erkrankungen bei Füchsen, Hunden und auch beim Menschen zunähme. Praziquantel sei bereits seit 35 Jahren für Hunde und Katzen apothekenpflichtig. Es handele sich dabei um ein zugelassenes Arzneimittel mit exzellentem Sicherheitsprofil. Aus seiner Sicht sei die entscheidende Frage, ob der Tierhalter vor einer Behandlung zuerst das Untersuchungsergebnis einer Kotprobe abwarten müsse oder nicht. Im Falle eines positiven Befundes sei bereits ein Ansteckungsrisiko vorhanden. Daher sei der Ansatz richtig, durch routinemäßige Entwurmung eine Eiausscheidung zu verhindern. Dies gelte insbesondere bei Hüte- und Jagdhunden. Der Ansatz in allen Empfehlungen sei, routinemäßig in Intervallen zu entwurmen, in denen der Wurm juvenil, also noch nicht geschlechtsreif sei. Angesichts der Gefahr durch Echinokokkose solle das Arzneimittel breit verfügbar bleiben. Von allen Gremien würde einheitlich empfohlen, vier Mal pro Jahr zu entwurmen. Für Hüte- bzw. Jagdhunde würde die monatliche Entwurmung empfohlen. Die regelmäßige Entwurmung würde sogar präventiv empfohlen, um freie Gebiete frei zu halten. Da in den letzten Jahren eine Ausbreitung von Süden nach Norden beobachtet wurde und Deutschland flächendeckend betroffen sei, könne man diese Empfehlungen auch für das ganze Bundesgebiet aussprechen.

Darauf antwortet ein anderer Sachverständiger, dass das Arzneimittel auch in Tierarztpraxen breit verfügbar sei und im Fall einer Unterstellung unter die Verschreibungspflicht auch bliebe. Nur der Tierarzt könne allerdings die unbedingt erforderliche Beratung des Tierhalters leisten. Diese Beratungen seien für die Bekämpfung der Parasitosen von zentraler Bedeutung, weil nur der Tierarzt Untersuchungen und Arzneimitteltherapie an die individuell unterschiedlichen Haltungsbedingungen des jeweiligen Tieres anpassen könne. Dies könne nur der Tierarzt leisten, der einerseits das Tier genau untersuche und andererseits die für die richtige Behandlung notwendigen speziellen Kenntnisse von Patenzen und Präpatenzen der einzelnen Würmer besäße. Aus der tierärztlichen Praxis sei bekannt, dass sich sehr viele Halter von Hunden und Katzen in falscher Sicherheit wiegen würden über den Entwurmungsgrad ihres Haustieres, weil sie sich in der Apotheke nach Beratung durch den Apotheker ein Entwurmungsmittel besorgt haben. Das Problem sei, dass Askariden in diesen Überlegungen keine Rolle spielten und Kenntnisse über diese Infektionen nicht vorhanden seien. Die Aufgabe, den Tierhalter diesbezüglich individuell aufzuklären, liege beim Tierarzt.

Ein Vertreter des BVL ergänzt, dass zur Bekämpfung der Zunahme von Zoonosen die Entwicklung von Strategien gehöre, die der Laie aber mangels Fachkenntnissen nicht entwickeln könne. Da Antiparasitika keine prophylaktische Wirkung entfalten könnten, seien starre Vorgaben wie die prophylaktische Arzneimittelgabe viermal pro Jahr unter Umständen nicht angemessen. Nur der Tierarzt könne einen Wurmbefall feststellen und damit den Tierhalter vor einer Infektion schützen. Dies entfalle, wenn sich der Tierhalter nur in der Apotheke informiere.

Ein Sachverständiger ergänzt, der Hersteller habe in seiner Packungsbeilage einen mit dem BVL abgestimmten Hinweis aufgenommen, in dem die Echinokokkose beschrieben und auf die fehlende Depotwirkung aufmerksam gemacht würde. Darüber hinaus seien darin wichtige Hinweise für den Tierhalter enthalten, so dass dieser durchaus auch auf diesem Wege eine Anleitung erhielte.

Ein anderer Sachverständiger informiert darüber, dass Praziquantel nicht nur keine prophylaktische, sondern auch keine ovozide Wirkung habe. Diese fehlende ovozide Wirkung hätte fatale Auswirkungen dann, wenn ein Tierhalter in Unkenntnis des Infektionsstatus seinem Tier zuhause Praziquantel gäbe. In der Folge würde das Tier große Mengen infektiöser Wurmeier ausscheiden mit einem entsprechend hohen Ansteckungsrisiko für Tierhalter und weitere Kontaktpersonen.

Ein Sachverständiger möchte wissen, wie in diesem Zusammenhang die Empfehlung des RKI zu verstehen sei, Hunde sollten regelmäßig mit Praziquantel entwurmt werden. Außerdem habe er in mehreren Apotheken erfahren, viele Tierhalter würden aus Gründen der Zeit- und Kostenersparnis keinen Tierarzt aufsuchen, sondern sich beim Apotheker beraten lassen. Dies würde seit Jahren gut funktionieren. Außerdem frage er sich, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Daten die bestehende Regelung nach 35 Jahren geändert werden solle.

Ein Vertreter des BVL informiert darüber, dass sich die Endemiegebiete der Echinokokkose verschieben können und teilweise ausbreiten. Die Füchse stellten das Infektionsreservoir dar, das über die bekannten Infektionsketten die Gefährdung des Menschen verursache. Die Frage des Sachverständigen nach der Interpretation der Aussage, Hunde sollten regelmäßig mit Praziquantel entwurmt werden, beantwortet er mit der Feststellung, dass gerade die Entscheidung, was eine der Erkrankung und den Haltungsbedingungen angemessene Behandlung sei, unbedingt wissenschaftliche bzw. tierärztliche Kenntnisse auch zur endemischen Verbreitung dieser Zoonose erfordere.

Ein weiterer Sachverständiger ergänzt, Füchse wanderten seit Jahren zunehmend in die Städte ein. Untersuchungen der Zwischenwirte, d.h. unter anderem der Mäuse, hätten eine Prävalenz von 20 % ergeben. Damit bestünde immer die Möglichkeit, dass ein im Stadtrandbezirk ohne Leine laufender Hund bzw. eine Katze infektiöse Erreger aufnehmen und den Tierhalter anstecken könne.

Aus Sicht eines anderen Sachverständigen könnten Tierhalter nach einem ersten Besuch beim Tierarzt anhand der Ihnen dort vermittelten Informationen ihre Tiere anschließend selbst behandeln und sie einmal jährlich dem Tierarzt vorstellen. Das Produkt selber sei sicher. Es gäbe aus seiner Sicht keine Sicherheitsrisiken, die den Kriterien des Arzneimittelgesetzes für eine Unterstellung unter die Verschreibungspflicht entsprächen. Für eine Behandlung sei kein Nachweis einer Wurminfektion mit Ausscheidung von Wurmeiern empfohlen, sondern es sollten die juvenilen Stadien behandelt werden.

Es folgt eine Präsentation des Vertreters des BVL zur Anwendung von Praziquantel bei Zierfischen.

Ein Sachverständiger führt aus, dass sich die Situation hinsichtlich der Praziquantel enthaltenden Produkte für die Tierarten Hund bzw. Katze und bei Zierfischen wesentlich unterscheide. Bei der Anwendung von Praziquantel bei Hund und Katze handele es sich um zugelassene Produkte, die der Aufsicht durch das BVL unterlägen. Im Gegensatz zu den Produkten für Zierfische seien diese apothekenpflichtig. Sie hätten zudem über die Verhinderung von Zoonosen einen relevanten Nutzen für den Menschen. Aus diesen Gründen beantrage er eine getrennte Abstimmung der beiden Positionen.

Ein weiterer Sachverständiger macht darauf aufmerksam, dass die in dem vorgestellten Blog erkennbaren Abläufe massive Verstöße gegen den im Grundgesetz verankerten Tierschutz dokumentierten. Es sei nicht akzeptabel, wenn Tierhalter durch ein Vorgehen ohne Kenntnisse über korrekte Dosierung und Kontaktzeiten Fische in großer Zahl schädigten. Auch aus diesen Erkenntnissen heraus sollte die Anwendung von Praziquantel bei Zierfischen aus der Freiverkäuflichkeit herausgenommen und wieder unter fachlicher Kontrolle gebracht werden.

Ein Sachverständiger stellt fest, für ihn seien die Bedenken des Friedrich-Loeffler-Instituts nicht ausgeräumt, nach denen die Unterstellung von Praziquantel unter die Verschreibungspflicht die Infektionsgefahr für den Menschen erhöhen könne.

Aus Sicht eines Vertreters des BVL haben diese Bedenken des Instituts deswegen keinen Bezug zur Realität, weil weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft die Situation eintreten würde, dass Praziquantel ausschließlich bei einem positiven Echinokokkose-Befund beim Hund eingesetzt würde. Hunde und Katzen würden weiterhin regelmäßig entwurmt. Es ginge vielmehr darum, dass in Kenntnis der individuellen epidemiologischen Situation des Tieres angemessen entwurmt würde. Dies könne im Einzelfall sowohl eine häufigere wie auch eine seltenere Entwurmung bedeuten. Die Entwurmung würde nach einer Unterstellung unter die Verschreibungspflicht nach wissenschaftlichen Kriterien stattfinden, denn der Tierarzt kenne die erforderlichen zeitlichen Abstände. Aktuell würde der Wirkstoff unkontrolliert und frei von Fachwissen eingesetzt.

Nachdem alle Argumente ausgetauscht wurden, informiert der Vorsitzende darüber, dass zuerst über den Antrag auf vollständige Unterstellung von Praziquantel abgestimmt werde. Im Fall der Ablehnung dieses Antrags kämen die nach Tierspezies unterscheidenden Anträge zur Abstimmung.

Abstimmung:

Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt mehrheitlich die Rücknahme der Entlassung aus der Verschreibungspflicht nach § 48 AMG für

Praziquantel
a) bei Hunden und Katzen
b) bei Zierfischen der Ordnung Karpfenartige, Barschartige, Welsartige und Zahnkärpflinge mit einem Wirkstoffgehalt bis zu 20 g je Packung.

TOP 9 Verschiedenes

Auf die entsprechende Frage eines Sachverständigen antwortet ein Vertreter des BMG, dass die in der 71. Sitzung ausgesprochene Empfehlung des Ausschusses zur verpflichtenden Angabe der Dosierung auf Rezepten, die in Deutschland ausgestellt und eingelöst werden, in den Entwurf zur nächsten Arzneimittelverschreibungsverordnung-Änderungsverordnung aufgenommen werden soll.

Ein weiterer Sachverständiger informiert darüber, dass der Hersteller des von der empfohlenen Unterstellung von Chinin unter die Verschreibungspflicht betroffenen Arzneimittels in größerem Umfang und wiederholt Werbematerial mit eindeutig falschen Aussagen an Ärzte verteilt. Angeblich wolle das BfArM Chininsulfat der Verschreibungspflicht unterstellen, um sich an eine EU-Guideline anzupassen und angeblich seien keine Risikobedenken seitens des BfArM vorhanden.

Ein Vertreter des BfArM bestätigt, es handele sich aus seiner Sicht um irreführende Werbung. Bei der angeblichen Anpassung an europäische Vorgaben handele es sich um eine Behauptung, die jeglicher Grundlage entbehre. Die wahren Gründe für die Empfehlung zur Unterstellung unter die Verschreibungspflicht seien auch der Firma bekannt (redaktionelle Anmerkung: die Gründe gehen hervor aus dem publizierten, ausführlichen Sitzungsprotokoll der 71. Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht sowie einem Artikel im

Möglicherweise solle dieser Flyer die weitere Bewerbung des Arzneimittels bei den Ärzten nach der erfolgten Unterstellung des Wirkstoffs unter die Verschreibungspflicht vorbereiten.

Der Vorsitzende informiert darüber, dass Verstöße gegen das Heilmittel-Werbegesetz in der Zuständigkeit der Landesbehörde des Bundeslandes liegen, in welchem der Hersteller seinen Firmensitz hat.
Er bedankt sich für die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung der Sitzung und verabschiedet die Sitzungsteilnehmer.

Termin der 73. Sitzung:
Dienstag, der 13. Januar 2015
Beginn: 10 Uhr
Sitzungsort: Bonn, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3

Alternativ zur Online-Version können Sie hier die pdf-Version des Protokolls herunterladen:


Anlagen

Voten und Begründungen zu Positionen, deren Änderung zugestimmt wird (zu TOP 5 und 8)
Präsentation Rechtliche Rahmenbedingungen
Präsentation zu TOP 5 externer Sachverständiger
Präsentation zu TOP 6 externer Sachverständiger
Präsentation zu TOP 6 BfArM
Präsentation zu TOP 7 externer Sachverständiger
Präsentation zu TOP 7 BfArM
Präsentation zu TOP 8 Sachverständiger