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Widerruf der Zulassung von Dipyridamol-haltigen Arzneimitteln mit kardialen Indikationen beabsichtigt

Dipyridamol ist eine komplexe Pyridinverbindung, welche u.a. als Inhibitor der Adenosin-Wiederaufnahme in Erythrozyten und Endothelzellen wirkt und so zu einer erhöhten extrazellulären Adenosinkonzentration führt, die schließlich eine Gefäßerweiterung an den Koronargefäßen des Herzens bewirken kann [1, 2]. Es wird seit vielen Jahren in Arzneimitteln mit folgenden Anwendungsgebieten in Deutschland eingesetzt: "Chronische Koronarinsuffizienz", "Angina pectoris", "chronische Herzinsuffizienz", "Vorbeugung und Nachbehandlung des Herzinfarktes", "Altersherz", "zur Verhütung von arteriellen und venösen Thromben und deren Komplikationen in Kombination mit Azetylsalizylsäure oder Antikoagulantien"; "zur Verminderung von Thrombosen und Embolien nach Operationen, insbesondere nach gefäßchirurgischen Eingriffen" und "zur Vorbeugung von Schlaganfällen, nachdem Vorläuferstadien aufgetreten sind (TIA und PRIND), wenn eine Antikoagulantientherapie nicht möglich oder kontraindiziert ist" sowie "zur Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie bei peripheren, koronaren und zerebralen Durchblutungsstörungen".

Im Zusammenhang mit Dipyridamol sind bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit folgende unerwünschte Arzneimittelwirkungen beobachtet worden: präkordialer Thoraxschmerz, Angina pectoris, Verschlimmerung einer bestehenden Angina pectoris bzw. instabilen Angina pectoris, Herzinfarkt, Re-Infarkt (in einzelnen Fällen mit tödlichem Verlauf), Herzrhythmusstörungen (wie Tachyarrhythmie und Kammerflimmern), Überleitungsstörungen (Schenkelblock). Für diese Symptome einer kardialen Ischämie wird der von Dipyridamol bewirkte sog. "koronare Steal"-Effekt, eine Perfusionsumverteilung von poststenotischen endokardnahen Myokardbezirken auf die noch gut durchbluteten epikardialen Wandschichten des Herzens verantwortlich gemacht. [3-6]. Diese von Dipyridamol bewirkte Perfusionsumverteilung an den Koronarien ist nach intravenöser Gabe von Dipyridamol besonders ausgeprägt. Symptome einer schwerwiegenden kardialen Ischämie wurden in der Regel nach intravenöser bzw. oraler Gabe von 300 bis 400 mg Dipyridamol beobachtet [7, 8]. Angina pectoris-Symptomatik, ischämische EKG-Veränderungen und Herzinfarkt sind in Einzelfällen bei vorgeschädigten Patienten bereits nach einer oralen Gabe von 75 bis 100 mg Dipyridamol beobachtet worden [9, 10].

Die vorliegenden doppelblind, randomisiert, plazebo-kontrolliert durchgeführten Studien zum Einsatz von Dipyridamol bei koronarer Herzerkrankung ergeben insgesamt keinen Beleg für eine Wirksamkeit der Substanz bei chronischer Koronarinsuffizienz [11-15]. Auch die Untersuchungen zur Reinfarktprophylaxe mit Dipyridamol weisen keinen Nutzen von Dipyridamol in Kombination mit ASS gegenüber einer wirksamen Monotherapie mit ASS in dieser Indikation aus [16, 17]. Schließlich gibt es keine Studien, die den Nutzen einer zusätzlichen Gabe von Dipyridamol zur Prophylaxe von Thrombosen und Embolien nach aorto- und venösen koronaren Bypass-Operationen gegenüber der Monotherapie mit Acetylsalicylsäure zeigen [18-21]. Daher ist der Einsatz in diesen Indikationsgebieten nicht gerechtfertigt, zumal in einzelnen Studien auch über eine Verschlechterung einer bestehenden Angina-pectoris-Symptomatik berichtet wurde.

Für die eingangs genannten Anwendungsgebiete des Dipyridamol existieren therapeutische Alternativen (andere Plättchenfunktionshemmer wie z.B. ASS; Nitroglycerin und lang wirksame orale Nitratzubereitungen, ACE-Hemmer und kardioselektive ß-Blocker). Bei einem Widerruf der Zulassung Dipyridamol-haltiger Arzneimittel ist somit nicht mit einer Behandlungslücke, auch nicht für bestimmte Patientengruppen, zu rechnen.

Das Nutzen/Risiko-Verhältnis für Dipyridamol wird aufgrund der vorliegenden Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen und der nicht hinreichend belegten Wirksamkeit für sämtliche oben genannten zugelassenen Anwendungsgebiete negativ bewertet. Diese Bewertung stützt sich überdies auf Ergebnisse von Studien aus der Grundlagenforschung, klinische Studien sowie auf publizierte Fallberichte aus der Literatur. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hält es auf der Basis des dargestellten wissenschaftlichen Kenntnisstandes für nicht mehr vertretbar, daß Dipyridamol-haltige Arzneimittel weiterhin für diese vorgenannten kardialen Indikationen in den Verkehr gebracht werden.

In der zerebralen Indikation sollen die Gegenanzeigen erweitert werden: Die Anwendung von Dipyridamol bei Patienten mit "koronarer Herzerkrankung (z.B. instabile Angina pectoris oder vor kurzem durchgemachter Myokardinfarkt), subvalvulärer Aortenstenose oder hämodynamischer Instabilität (z.B. dekompensierter Herzinsuffizienz, schwerer Hypotonie, hypotonen Kollapszuständen)" ist in Zukunft kontraindiziert.

Literatur

(Ein ausfühliches Literaturverzeichnis ist dem Anhörungsschreiben des BfArM beigefügt.)