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Hormonersatztherapie bei Frauen in und nach den Wechseljahren mit Östrogen-Gestagen-Kombinationen

In Amerika wurde kürzlich ein Arm einer groß angelegten randomisierten, placebokontrollierten Studie (Women's Health Initiative, WHI) abgebrochen, der darauf abzielte, das Nutzen-Schaden-Verhältnis einer Hormonersatztherapie (engl. Abkürzung: HRT) mit einer in Amerika gebräuchlichen Östrogen-Gestagen-Kombination (0,625 mg konjugierte Östrogene plus 2,5 mg Medroxyprogesteronacetat (MPA) täglich) zu untersuchen [Rote-Hand-Brief. Grund für den Abbruch war ein vermehrtes Auftreten von Brustkrebs und ein ungünstiger Global-Index für das Nutzen-Schaden-Verhältnis in der Verumgruppe (HRT-Behandlung).

In diesen Studienarm waren insgesamt ca. 16.000 postmenopausale Frauen mit Gebärmutter im Alter von 50 bis 79 Jahren ohne aktuelle schwere Erkrankungen einbezogen. Bei Studienabbruch betrug die durchschnittliche Gesamt-Beobachtungszeit 5,2 Jahre.

Bezogen auf die durchschnittliche Gesamt-Beobachtungszeit der WHI-Studie zeigten sich in der Verumgruppe im Vergleich zur Placebogruppe zusätzlich 7 Komplikationen einer koronaren Herzkrankheit (KHK), vor allem Herzinfarkte, 8 Schlaganfälle, 18 venöse Thrombembolien (darunter 8 Lungenembolien) und 8 invasive Mammakarzinome auf 10.000 Frauenjahre. Demgegenüber waren in der Verumgruppe im Vergleich zur Placebogruppe Kolonkarzinome um 6 und Hüftfrakturen um 5 Fälle pro 10.000 Frauenjahre vermindert.

Ergebnisbewertung

Für das erhöhte Brustkrebsrisiko in der Verumgruppe muss ein kausaler Zusammenhang mit einer HRT angenommen werden. Das Brustkrebsrisiko stieg mit zunehmender Dauer der HRT an, beginnend ab dem vierten Beobachtungsjahr der Studie. Das Risiko war bei den 26% Frauen, die bereits vor Teilnahme an der Studie eine HRT erhalten hatten, besonders erhöht. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit einer Reihe epidemiologischer Studien, die in der Vergangenheit publiziert wurden und auch in einer großen Metaanalyse (Collaborative Study) [Rote-Hand-Brief zusammengefaßt worden sind.

In Bezug auf kardiovaskuläre Ereignisse weisen die Ergebnisse der WHI-Studie in die gleiche Richtung wie eine Studie (HERS-I) [Rote-Hand-Brief mit dem gleichen Therapieregime, in der das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse bei Frauen mit vorbestehender KHK während des ersten Beobachtungsjahres ebenfalls erhöht war. In der WHI-Studie traten in der Verumgruppe im ersten Beobachtungsjahr 22 zusätzliche KHK-Ereignisse pro 10.000 Frauenjahre auf (bezogen auf die durchschnittliche Gesamt-Beobachtungszeit von 5,2 Jahren waren es im Mittel 7 zusätzliche KHK-Ereignisse pro 10.000 Frauenjahre; s.o.).

Das Risiko für venöse thrombembolische Ereignisse war in der WHI-Studie bezogen auf die durchschnittliche Gesamt-Beobachtungszeit in der Verumgruppe im Vergleich zur Placebogruppe im Mittel ca. 2fach erhöht (34 vs. 16 Fälle auf 10.000 Frauenjahre), mit einer stärkeren Erhöhung im ersten Beobachtungsjahr der Studie (ca. 3,5fach) und einer geringeren in den folgenden Beobachtungsjahren. Damit entsprach das gefundene relative Risiko ungefähr den Angaben früherer epidemiologischer Untersuchungen [Rote-Hand-Brief. In einigen dieser Untersuchungen wurde allerdings ein geringeres Absolutrisiko für venöse Thrombembolien beschrieben (ca. 2-3 vs. 1 Fall auf 10.000 Frauenjahre) [Rote-Hand-Brief. Welche Faktoren (z.B. Patientenalter oder Studiendesign) in welchem Ausmaß zu diesem Unterschied beitragen, kann zur Zeit nicht sicher beurteilt werden.

Mit dem in der WHI-Studie praktizierten HRT-Regime konnte die Anzahl von Hüft-, Wirbelkörper- und anderen Frakturen sowie an Kolonkarzinomen signifikant reduziert werden. Dennoch überwog der Schaden durch Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenembolie insgesamt diesen Nutzen. In Bezug auf eine Osteoporoseprophylaxe liegen für andere als die in der WHI-Studie verwendeten Östrogen-Gestagen-Kombinationen keine vergleichbaren Studien zur Frakturhäufigkeit vor, auch nicht bei definierten Risikogruppen (z. B. Frauen mit früher Menopause). Belegt sind lediglich Effekte auf den Surrogatendpunkt Knochendichte. Dagegen ist für einige alternative Therapieoptionen eine Senkung der Frakturhäufigkeit bei definierten Risikogruppen belegt.

Besonderheiten der WHI-Studie gegenüber in Deutschland üblichen Hormonersatztherapien

Mit dem in der WHI-Studie praktizierten HRT-Regime konnte die Anzahl von Hüft-, Wirbelkörper- und anderen Frakturen sowie an Kolonkarzinomen signifikant reduziert werden. Dennoch überwog der Schaden durch Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenembolie insgesamt diesen Nutzen. In Bezug auf eine Osteoporoseprophylaxe liegen für andere als die in der WHI-Studie verwendeten Östrogen-Gestagen-Kombinationen keine vergleichbaren Studien zur Frakturhäufigkeit vor, auch nicht bei definierten Risikogruppen (z. B. Frauen mit früher Menopause). Belegt sind lediglich Effekte auf den Surrogatendpunkt Knochendichte. Dagegen ist für einige alternative Therapieoptionen eine Senkung der Frakturhäufigkeit bei definierten Risikogruppen belegt.

In der WHI-Studie wurden postmenopausale Frauen untersucht. Frauen mit starken Wechseljahresbeschwerden (u.a. Hitzewallungen, Schwitzen, Stimmungsschwankungen), denen eine Placebo-Behandlung nicht zuzumuten gewesen wäre, wurden ausgeschlossen [Rote-Hand-Brief. Das Durchschnittsalter der Frauen lag mit 63,3 Jahren relativ hoch. Allerdings gehörten ca. 5.500 Frauen in der WHI-Studie zu der Altersklasse 50-59 Jahre, in der in Deutschland auch oft eine HRT zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden durchgeführt wird. Zudem wurde in der WHI-Studie kein Einfluss des Alters auf die erhöhten Risiken beschrieben.

In Deutschland wird das in der WHI-Studie praktizierte Regime deutlich weniger häufig als andere angewendet. Als Östrogenkomponente werden auch Östradiolzubereitungen, als Gestagenkomponente an Stelle des Progesteronderivates MPA häufiger Testosteronderivate wie z.B. Norethisteron verordnet. Weiterhin sind auch transdermale HRT-Regimes sowie solche, in denen Östrogene zyklisch und Gestagene sequenziell gegeben werden, gebräuchlich.

Übertragbarkeit der Ergebnisse

Für die verschiedenen von der WHI-Studie abweichenden HRT-Varianten liegen keine Studien von vergleichbarer Aussagekraft vor, die geringere Risiken bzw. ein günstigeres Nutzen-Schaden-Verhältnis belegen. Solange solche Daten nicht verfügbar sind, ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass auch andere Östrogen-Gestagen-Kombinationen mit einem Risiko von Brustkrebs, venösen Thrombembolien, Herzinfarkt und Schlaganfall einhergehen, das den Nutzen übersteigt. Davon können zunächst auch nicht-orale Applikationsarten (z.B. transdermale) und andere Therapieregimes (z.B. sequenzielle Gestagengabe) nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden.

Bedeutung für die in Deutschland zugelassenen Anwendungsgebiete einer HRT

Zur Zeit nehmen in Deutschland ca. 5 Millionen Frauen Arzneimittel zur HRT ein, die für die folgenden Hauptanwendungsgebiete oder einzelne Bereiche daraus zugelassen sind:

  1. Substitution bei Östrogenmangel, wie Beschwerden der Wechseljahre als Folge einer nachlassenden körpereigenen Östrogenproduktion bzw. nach operativer Entfernung der Eierstöcke.
  2. Vorbeugung und Verzögerung einer durch Östrogenmangel bedingten Osteoporose.
  3. Vorbeugung und Behandlung von durch Östrogenmangel bedingten Rückbildungserscheinungen der Harn- und Geschlechtsorgane.

Das BfArM strebt eine Neubewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses von Östrogen-Gestagen-Kombinationen in den zugelassenen Anwendungsgebieten an. Auf nationaler Ebene wird das BfArM diesbezüglich ein Stufenplanverfahren starten. Weiterhin wird von den zuständigen europäischen Gremien, in denen auch Deutschland vertreten ist, nach abgeschlossener Diskussion eine Position formuliert werden, die für die in europäischen Verfahren zugelassenen HRT-Produkte relevant ist. Vorbehaltlich der Ergebnisse der weiteren Analysen und Diskussionen, die im Rahmen dieser Verfahren noch erfolgen, hält das BfArM zum gegenwärtigen Zeitpunkt folgendes Vorgehen als Konsequenz aus der WHI-Studie für vertretbar:

1. Klimakterische Beschwerden

Alle Östrogen-Gestagen-Kombinationen nur bei ausgeprägtem individuellen Leidensdruck, nach Ausschluss von Risikofaktoren (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, venöse thrombembolische Komplikationen, Krebs) sowie nach Aufklärung der Patientinnen über die möglichen Risiken verordnen. Die Anwendungsdauer so kurz wie möglich (z. B. 1-2 Jahre; gegebenenfalls Auslassversuche), die Östrogendosis so niedrig wie möglich wählen. Besteht die HRT schon länger als ein Jahr, bedenken, dass einerseits das Brustkrebsrisiko mit zunehmender Therapiedauer ansteigt und das Schlaganfallrisiko in der WHI-Studie nach einer im zweiten Beobachtungsjahr einsetzenden Erhöhung über mehrere Jahre erhöht blieb, andererseits das Risiko für Herzinfarkt und venöse thrombembolische Komplikationen wahrscheinlich eher sinkt.

2. Osteoporoseprophylaxe

Bei postmenopausalen Frauen ohne erhöhtes Osteoporoserisiko Östrogen-Gestagen-Kombinationen zur Osteoporoseprophylaxe nicht mehr verordnen und bei Frauen mit erhöhtem Risiko osteoporotischer Frakturen das Spektrum der anderen für die Osteoporoseprophylaxe zur Verfügung stehenden Optionen eingehend als Alternative in Betracht ziehen. Die Indikation zur Fortführung einer bereits seit mehreren Jahren durchgeführten HRT zur Osteoporoseprophylaxe bei Frauen mit erhöhtem Risiko für eine osteoporotische Fraktur in Bezug auf die oben angeführten Aspekte überprüfen.

3. Rückbildungserscheinungen an den Harn- und Geschlechtsorganen

Zur Vorbeugung und Behandlung von durch Östrogenmangel bedingten Rückbildungserscheinungen an den Harn- und Geschlechtsorganen Präparate zur topischen Applikation in Betracht ziehen.

Eine Behandlung mit Östrogen-Gestagen-Kombinationen zum Zweck der Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist aufgrund der aktuellen Datenlage nicht gerechtfertigt. Eine solche Vorbeugung ist bei den in Deutschland sich im Verkehr befindlichen Präparaten aber auch nicht als Anwendungsgebiet zugelassen.

Östrogen-Monotherapie bei Frauen ohne Gebärmutter

Für die HRT mit Östrogen-Monopräparaten bei Frauen, denen die Gebärmutter entfernt wurde, liegen noch keine statistisch vergleichbar robusten Studien vor. Der WHI-Studienarm, der im Vergleich mit Placebo das Nutzen-Schaden-Verhältnis einer Östrogen-Monotherapie bei Frauen ohne Gebärmutter untersucht, läuft derzeit weiter1. Allerdings weisen einige epidemiologische Studien auf ein erhöhtes Risiko für Eierstockkrebs nach langfristiger Anwendung von Östrogenen hin (8-10). Insgesamt ist die Datenlage nicht einheitlich (11-12). Die vorliegenden Daten werden vom BfArM einer detaillierten Bewertung unterzogen. Gegenwärtig wird im Einzelfall zu einer sorgfältigen Abwägung von Nutzen und Risiken unter Berücksichtigung der Risikofaktoren für einen Eierstockkrebs geraten.

Literaturverzeichnis:

  1. Writing group for WHI Investigators. JAMA 2002;288:321-333.
  2. Collaborative group on hormonal factors in breast cancer. Lancet 1997;350:1047-1059.
  3. Hulley et al. JAMA 1998;280:605-613. Rote-Hand-Brief
  4. Nelson et al. JAMA 2002;288:872-881.Rote-Hand-Brief
  5. Oger and Scarabin. Drugs and Aging 1999;14:55-61.Rote-Hand-Brief
  6. Varas-Lorenzo et al. Am J Epidemiol 1998;147:387-390.
  7. Design of the Women's Health Initiative. Contr Clin Trials 1998;19:61-109. Rote-Hand-Brief
  8. Lacey et al. JAMA 2002;288:334-341.
  9. Riman et al. J Natl Cancer Inst 2002;94:497-504.
  10. Rodriguez et al. JAMA 2001;285:1460-1465.
  11. Hempling et al. Obstet Gynecol 1997;89:1012-1016.

  12. Coughlin et al. J Clin Epidemiol 2000;53:367-375.