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Valproat: Potenzielles Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von Vätern, die valproathaltige Arzneimittel einnehmen

Wirkstoff: Valproat

Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) empfiehlt Vorsichtsmaßnahmen für die Behandlung von männlichen Patienten mit valproathaltigen Arzneimitteln. Diese Maßnahmen sollen ein potenziell erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von Vätern, die in den drei Monaten vor der Empfängnis mit Valproat behandelt wurden, berücksichtigen. Valproathaltige Arzneimittel werden zur Behandlung von Epilepsie, bipolaren Störungen und in einigen EU-Ländern zur Behandlung von Migräne eingesetzt.

Der PRAC empfiehlt, dass die Behandlung mit Valproat bei männlichen Patienten von einem Spezialisten für die Behandlung von Epilepsie, bipolaren Störungen oder Migräne eingeleitet und überwacht wird.

Ärzte sollten männliche Patienten, die valproathaltige Arzneimittel einnehmen, über das mögliche Risiko aufklären und die Notwendigkeit einer wirksamen Empfängnisverhütung sowohl für den Patienten als auch für seine Partnerin erörtern. Die Behandlung männlicher Patienten mit Valproat sollte regelmäßig überprüft werden, um festzustellen, ob sie weiterhin die am besten geeignete Behandlung ist, insbesondere, wenn der Patient plant, ein Kind zu bekommen.

Bei seiner Beurteilung wertete der PRAC Daten aus einer retrospektiven Beobachtungsstudie aus, die von pharmazeutischen Unternehmen durchgeführt wurde, die valproathaltige Arzneimittel vermarkten. Diese Studien waren Auflagen des 2018 abgeschlossenen Risikobewertungsverfahrens zur Überprüfung der Anwendung von Valproat während der Schwangerschaft. Der Ausschuss berücksichtigte auch Daten aus anderen Quellen, einschließlich nichtklinischer (Labor-)Studien und wissenschaftlicher Literatur, und konsultierte Patienten und klinische Experten.

Die retrospektive Beobachtungsstudie verwendete Daten aus mehreren Registerdatenbanken in Dänemark, Norwegen und Schweden und konzentrierte sich auf die Geburtsergebnisse von Kindern, die von Männern gezeugt wurden, die zum Zeitpunkt der Empfängnis entweder Valproat oder Lamotrigin oder Levetiracetam (andere Arzneimittel zur Behandlung ähnlicher Erkrankungen wie mit Valproat) einnahmen.

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass bei Kindern von Männern, die in den drei Monaten vor der Empfängnis Valproat eingenommen haben, ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen besteht. Neurologische Entwicklungsstörungen sind Entwicklungsprobleme, die in der frühen Kindheit beginnen, wie Autismus-Spektrum-Störungen, geistige Behinderung, Kommunikationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen und Bewegungsstörungen.

Die Daten zeigten, dass etwa 5 von 100 Kindern von Vätern, die mit Valproat behandelt wurden, eine neurologische Entwicklungsstörung aufwiesen, verglichen mit etwa 3 von 100 Kindern von Vätern, die mit Lamotrigin oder Levetiracetam behandelt wurden. In der Studie wurde das Risiko bei Kindern von Männern, die mehr als drei Monate vor der Empfängnis mit der Valproatbehandlung aufgehört hatten, nicht untersucht.

Das mögliche Risiko bei Kindern von Männern, die in den drei Monaten vor der Empfängnis mit Valproat behandelt wurden, ist geringer als das zuvor bestätigte Risiko bei Kindern von Frauen, die während der Schwangerschaft mit Valproat behandelt wurden. Es wird geschätzt, dass bis zu 30 bis 40 von 100 Vorschulkindern, deren Mütter während der Schwangerschaft Valproat eingenommen haben, Probleme mit der frühkindlichen Entwicklung haben können, wie z. B. langsames Laufen und Sprechen, intellektuelle Defizite und Schwierigkeiten mit Sprache und Gedächtnis.

Die Studiendaten zu den männlichen Patienten wiesen Limitationen auf, u. a. Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der Erkrankungen, für die die Arzneimittel verwendet wurden, und der Dauer der Nachbeobachtung. Der PRAC konnte daher nicht feststellen, ob das in der Studie vermutete vermehrte Auftreten dieser Störungen auf die Einnahme von Valproat zurückzuführen ist. Darüber hinaus war die Studie nicht groß genug, um festzustellen, für welche Arten von neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern ein erhöhtes Risiko bestehen könnte. Dennoch hielt der Ausschuss vorsorgliche Maßnahmen zur Information von Patienten und Angehörigen der Gesundheitsberufe für gerechtfertigt.

Das potenzielle Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen und die Vorsichtsmaßnahmen werden in den Aktualisierungen der Produktinformationen und des Schulungsmaterials für valproathaltige Arzneimittel berücksichtigt.

Informationen für männliche Patienten

  • Neue Informationen deuten darauf hin, dass bei Kindern von Vätern, die in den drei Monaten vor der Empfängnis mit Valproat behandelt wurden, ein höheres Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen (Entwicklungsstörungen, die in der frühen Kindheit beginnen) besteht, als bei Kindern von Vätern, die Lamotrigin oder Levetiracetam eingenommen haben.
  • Da die Studie Limitierungen enthält, kann nicht bestätigt werden, dass dieses erhöhte Risiko auf Valproat zurückzuführen ist.
  • Es wird empfohlen, dass Ihre Valproat-Behandlung von einem Facharzt eingeleitet und überwacht wird, der Erfahrung im Umgang mit Ihrer Erkrankungsform hat.
  • Ihr Arzt wird Ihre Behandlung mit Valproat regelmäßig überprüfen, um festzustellen, ob Valproat weiterhin die am besten geeignete Behandlung für Sie ist und um die Möglichkeit anderer Behandlungen zur Behandlung Ihrer Krankheit zu besprechen, je nach Ihrer Situation.
  • Als Vorsorgemaßnahme wird Ihr Arzt mit Ihnen über Folgendes sprechen:

    • das mögliche Risiko für Kinder von Vätern, die Valproat einnehmen;
    • die Notwendigkeit einer wirksamen Empfängnisverhütung (Verhütungsmittel) für Sie und Ihre Partnerin während der Behandlung und für 3 Monate nach Beendigung der Behandlung;
    • die Notwendigkeit, den Arzt zu konsultieren, wenn Sie planen, ein Kind zu zeugen, und bevor Sie die Verhütung absetzen;
    • warum Sie während der Einnahme von Valproat und 3 Monate nach Absetzen von Valproat kein Sperma spenden sollten.
  • Wenn Ihre Partnerin schwanger wird und Sie in den 3 Monaten vor der Empfängnis Valproat eingenommen haben, sprechen Sie mit Ihrem Arzt, falls Sie oder Ihre Partnerin Fragen haben.
  • Brechen Sie Ihre Behandlung nicht ab, ohne Ihren Arzt zu konsultieren. Wenn Sie die Behandlung abbrechen, können sich Ihre Symptome verschlimmern.
  • Ihr Arzt wird Ihnen eine Patienteninformation zum Lesen geben. Außerdem erhalten Sie zusammen mit Ihrem Arzneimittel eine Patientenkarte, die Sie an die möglichen Risiken der Anwendung von Valproat erinnert.

Informationen für Angehörige der Gesundheitsberufe

  • Es wird empfohlen, dass die Behandlung mit Valproat bei männlichen Patienten von einem Facharzt für die Behandlung für Epilepsie, bipolare Störung oder Migräne eingeleitet und überwacht wird.
  • Angehörige der Gesundheitsberufe sollten:

    • männliche Patienten, die derzeit mit Valproat behandelt werden, über das potenzielle Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen informieren und prüfen, ob Valproat weiterhin die am besten geeignete Behandlung ist;
    • mit männlichen Patienten die Notwendigkeit einer wirksamen Empfängnisverhütung, auch für die Partnerin,  während der Einnahme von Valproat und für mindestens 3 Monate nach Absetzen der Behandlung besprechen.
    • männliche Patienten über die Notwendigkeit regelmäßiger Überprüfungen durch ihren Arzt informieren, um zu beurteilen, ob Valproat weiterhin die am besten geeignete Behandlung für den Patienten ist und mit dem Patienten geeignete Behandlungsalternativen besprechen. Dies ist besonders wichtig, wenn der männliche Patient plant, ein Kind zu zeugen, und in diesem Fall vor dem Absetzen der Verhütung;
    • männlichen Patienten davon abraten, während der Behandlung und für mindestens 3 Monate nach Beendigung der Behandlung Sperma zu spenden;
    • männlichen Patienten den neuen Patientenleitfaden für männliche Patienten aushändigen und sie auf die Patientenkarte hinweisen, die der Verpackung ihres Arzneimittels beiliegt oder in ihr enthalten ist.
  • Diese Vorsorgemaßnahmen beruhen auf einer PRAC-Überprüfung von Daten aus einer retrospektiven Beobachtungsstudie (EUPAS34201). Die Ergebnisse deuten auf ein erhöhtes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von Männern hin, die in den drei Monaten vor der Empfängnis mit Valproat behandelt wurden, verglichen mit dem Risiko bei Kindern von Männern, die mit Lamotrigin oder Levetiracetam behandelt wurden.
  • Die Metaanalyse der Daten aus den drei Ländern ergab eine gepoolte bereinigte Hazard Ratio (HR) von 1,50 (95% CI: 1,09-2,07) für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von Vätern, die in den drei Monaten vor der Empfängnis mit Valproat behandelt wurden, verglichen mit Lamotrigin/Levetiracetam. Das bereinigte kumulative Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen wurde auf etwa 5 % in der Valproatgruppe gegenüber etwa 3 % in der Lamotrigin- und Levetiracetamgruppe geschätzt. Beim Risiko für angeborene Fehlbildungen wurde kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen festgestellt.
  • In der Studie wurde das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern von Vätern, die mehr als 3 Monate vor der Empfängnis mit der Einnahme von Valproat aufgehört haben, nicht untersucht.
  • Frühere Empfehlungen, die Exposition von Frauen gegenüber valproathaltigen Arzneimitteln während der Schwangerschaft wegen des Risikos angeborener Missbildungen (Geburtsfehler) und neurologischer Entwicklungsstörungen zu vermeiden, gelten weiterhin.

Ein Rote-Hand-Brief wird zu gegebener Zeit an die Angehörigen der Heilberufe versendet, die das Arzneimittel verschreiben, abgeben oder verabreichen. Er wird auf der BfArM-Homepage und auf der EMA-Website (englische Fassung) veröffentlicht werden.

Mehr über die Arzneimittel

Valproathaltige Arzneimittel werden zur Behandlung von Epilepsie und bipolarer Störung eingesetzt. In einigen EU-Mitgliedstaaten sind sie auch zur Vorbeugung von Migränekopfschmerzen zugelassen.

Der Wirkstoff in diesen Arzneimitteln kann Valproinsäure, Magnesiumvalproat, Natriumvalproat, Valproat Seminatrium oder Valpromid sein.

Valproathaltige Arzneimittel wurden im Rahmen nationaler Verfahren in allen EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen und Island zugelassen. Sie werden unter verschiedenen Markennamen vermarktet, darunter in Deutschland: Convulex, Depakine, Ergenyl und Orfiril.

Mehr über das Verfahren

Die Überprüfung von Valproat wurde am 13. März 2023 eingeleitet, nachdem die Zulassungsinhaber die Ergebnisse einer Unbedenklichkeitsstudie nach der Zulassung (EUPAS34201) gemäß Artikel 107p der Richtlinie 2001/83/EG vorgelegt hatten. Diese Studie war eine Verpflichtung, die sich aus einer früheren Überprüfung der Anwendung von Valproat während der Schwangerschaft ergab.

Die Überprüfung wurde vom PRAC durchgeführt, der für die Bewertung von Sicherheitsfragen bei Humanarzneimitteln zuständig ist und eine Reihe von Empfehlungen abgegeben hat. Die Empfehlungen des PRAC werden nun an die Koordinierungsgruppe für Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und dezentrale Verfahren (CMDh) weitergeleitet, die eine Position abgeben wird. Die CMDh ist ein Gremium, das die EU-Mitgliedsstaaten einschließlich Island, Lichtenstein und Norwegen vertritt. Sie ist dafür verantwortlich, harmonisierte Sicherheitsstandards für alle Arzneimittel zu gewährleisten, die im Rahmen nationaler Verfahren in Europa zugelassen sind.

Weitere Informationen:

Risikoinformation vom 26.01.2024 (CMDh-Position):

Risikoinformation vom 16.08.2023:

Risikobewertungsverfahren (Stand 09.11.2018):

Details zur PRAC-Empfehlung können unter folgendem Link bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) abgerufen werden: